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Julius Kretschmer: Hunderte solcher Flugzettel

Julius Kretschmer, geb. 1908 in Wien, Mitglied der Vaterländischen Front und der monarchistischen Studentenverbindung Akademisches Corps Ottonen. Nach dem "Anschluss" Mitarbeit in der legitimistischen Widerstandsgruppe Burian, Oktober 1938 bis 19. Dezember 1943 Haft, am 9. Dezember 1943 vom Volksgerichtshof wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt. 14 Tage vor Kriegsende neuerliche Verhaftung.

Nach 1945 im Lehrberuf tätig, literarische Tätigkeit, Mitarbeit bei Rundfunk, Zeitungen und Zeitschriften, 1972-1981 Präsident der Österreichischen Widerstandsbewegung.

Verstorben 1997.

 

 

Als dann im Jahre 1938 Hitler einmarschierte [...] hat das akademische Ottonen-Corps sich sofort aufgelöst und beschlossen, illegal zu arbeiten, und zwar im österreichischen, monarchistischen Sinn. Die auch in Veröffentlichungen gemachte Behauptung, dass sich die Ottonen aufgelöst hätten, weil mit dem "Anschluss" ihr Ziel erreicht sei, ist falsch. [...] Mit der Leitung der illegalen monarchistischen Gruppe des Ottonen-Corps wurde der damalige Oberleutnant Karl Burian betraut. Seine Mitarbeiter waren Rochus Kosak, Magister [Josef] Wotypka, der Historiker [Ludwig] Krausz-Wienner, Dr. Josef Krinninger und ich. Wir nannten uns das Zentralkomitee der monarchistischen Bewegungen. Unsere Aufgabe war, nachdem wir sofort mit Otto von Habsburg, der damals in Paris weilte, in Verbindung getreten waren, Gelder und Zeitschriften, die vom Ausland hereinkamen, an die einzelnen Gruppen weiterzuschicken und weiterzugeben. So allerdings, dass diese nicht wussten und nicht wissen konnten, von wem sie das Geld und von wem sie diese Zeitschriften erhielten. [Michael Georg] Koimzoglu, der griechische Generalkonsul, kam mit Hilfe von Rochus Kosak, der bei ihm angestellt war, mit uns in Verbindung und arbeitete freudig und begeistert mit. Er wurde später auch zum Tode verurteilt, dann aber gegen einen anderen seiner Art von den Deutschen ausgetauscht.

 

Wir arbeiteten durch Monate hindurch, ohne zu wissen, dass einer unserer zeitweiligen Mitarbeiter - ein ehemaliger Gast des akademischen Korps Ottonen - uns längst verraten hatte. [...] Im Oktober 1938 wurden wir dann alle verhaftet. Nach zehnmonatiger Gestapohaft kam ich ins Landesgericht Wien, wo ich ungefähr zwei Jahre in Einzelhaft blieb. Wegen der großen Überfüllung dort waren wir manchmal zwei, manchmal sogar drei in einer Einzelzelle. Dann wurde unsere Gruppe nach Regensburg ins Landgericht gebracht, wo wir ebenfalls mehr als zwei Jahre festgehalten wurden. Zuerst kamen wir nach Salzburg, dann nach München und von dort aus eben nach Regensburg. Gemeinsam mit der Gruppe des Schriftstellers [Wilhelm] Hebra-Hutzer und der des Dr. [Wilhelm] Zemljak. Während die anderen beiden Gruppen ihre Verhandlung im Volksgerichtshof in Regensburg über sich ergehen lassen mussten, wurden wir nach Wien abtransportiert. Im Dezember 1943 fand die Verhandlung statt. Nach drei Tagen wurde Burian zum Tode verurteilt, die anderen erhielten Strafen zwischen drei und zehn Jahren. Ich selbst wurde zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, nachdem ich bereits fünf Jahre und zwei Monate gesessen war. Jedoch um der Wahrheit willen muss ich feststellen, dass der Vorsitzende dieses Gerichtshofes, als er das Urteil aussprach, erklärte: "Dass wir Ihnen Ehrverlust geben müssen, schreibt uns das Gesetz vor."

 

Ich habe auch während meiner Haft im Landesgericht I illegal weitergearbeitet. Während die Linken kommunistische Schulungsbriefe verfassten, verfasste ich solche monarchistischen Inhalts und gab sie weiter. Das geschah mit Hilfe eines langen Fadens, von Fenster zu Fenster. Eines Tages flog das alles auf, und die Gestapo wanderte von Zelle zu Zelle. Das hatten wir rechtzeitig erfahren, und zwar durch das "Klo-Telefon". Denn wenn man die Muschel des Klos auspumpte, konnte man mit allen, die an derselben Leitung hingen, ins Gespräch kommen. Also, da hatte ich Mordsglück. Ich hatte vergessen, einen dieser Briefe zu vernichten und ihn in die Seitentasche meines Rockes gesteckt. [...] Nachdem die Beamten der Gestapo die ganze Zelle von oben bis unten durchsucht hatten, ging einer von ihnen auf meinen Rock zu und griff in die Seitentasche. Von dort zog er ein Blatt Papier hervor, auf das ich das Deutschlandlied geschrieben hatte - für alle Fälle. Als er das gelesen hatte, legte er es auf den Tisch und verließ gemeinsam mit den anderen den Raum. Das Schulungspaket hatte er nicht mehr herausgezogen. Als sie draußen waren, sagte mein Zellengenosse, ein polnischer Lehrer: "Du sein so blass!" [...]

 

In Regensburg hatten wir größtenteils höchst anständige Aufseher, von denen einer sogar unsere Briefe heimlich nach Wien beförderte und auch heimlich nach Wien fuhr mit Nachrichten von uns.

 

Dezember 1943 ging ich in Freiheit und wurde zunächst Schreiber bei Huber und Drott. Nach einer gewissen Zeit degradierte man mich zum Hilfsarbeiter. Vorher hätte ich noch zur Strafkompanie einrücken sollen. Und da gab es das zweite Wunder. Ein Offizier flüsterte mir heimlich zu, ich möge ein Magenleiden vorschützen. Eine Woche lang wurde ich bei den Barmherzigen Brüdern untersucht, aber sie fanden nichts. Als ich zum Chefarzt kam, von dem alles abhing, fragte er mich: "Woher kommen Sie?" Ich sagte ihm, vom Gefängnis. "Warum?" - "Wegen Vorbereitung zum Hochverrat." Dann fragte er mich nach meinem Namen. Ich nannte ihn, und er antwortete: "Wenn Sie jetzt noch Julius heißen, heißen Sie so wie ich!" - "Ja", sagte ich, "so heiße ich." Nach einer kurzen Untersuchung erklärte er mich für kriegsdienstuntauglich, Befund: Kropf nach innen. Noch am selben Tag ging ich am Abend zu einem HNO-Spezialisten, um mich diesbezüglich untersuchen zu lassen, weil ich mir immerhin Sorgen machte, ob es vielleicht doch wahr sein könnte, was der Mann da gesagt hatte. Als mich der Spezialist genauestens untersucht hatte, fragte er mich, wie ich zu einem solchen Blödsinn komme. Dass ich ihn nicht aufklärte, ist klar.

 

Einige Zeit nachher hatte ich die Angestellte einer Buchdruckerei namens Frieda Schwab kennen gelernt. Ich animierte sie dazu, Flugzettel mit dem Inhalt "Österreich erwache!" zu drucken. Sie ging darauf ein, ging jeden Tag um eine Stunde früher in ihre Druckerei, sie hatte dort eine Vertrauensstelle, und druckte Hunderte solcher Flugzettel, die wir abends, in der Dunkelheit, verteilten.

 

Irgendwie musste man wieder einmal auf mich aufmerksam geworden sein, denn 14 Tage vor Kriegsende wurde ich neuerlich verhaftet. Da ich gewarnt worden war, wollte ich flüchten, aber man erwischte mich in der Straßenbahn und brachte mich zum Standgericht ins Czartoryski-Schlössel, wo die SS ihren Sitz hatte. Es herrschte damals bereits Standrecht. Als ich schon alles abgelegt hatte, Rock, Kragen, Krawatte, und in den Hof geführt werden sollte, fielen plötzlich Bomben. Russische Bomben, die so rasch da waren, dass gar keine Vorwarnung möglich war. Alles rannte hinunter - ich auch. Aber bei der Tür schnappte man mich und brüllte: "Du entkommst uns nicht!" Da riss ich mich los, rannte hinauf, wo der Kommandant des Pelotons sich aufhielt und fragte ihn: "Kann ich jetzt gehen?" Ohne sich umzudrehen - er stand beim Fenster und sah auf die Straße hinab -, antwortete er: "Warum sollen Sie nicht gehen können? Gehen Sie!" Da bat ich ihn, einen Adjutanten mit mir zu schicken. Eine Handbewegung von ihm, und der Adjutant lief mit mir hinunter, stieß alle, die auf mich zuspringen wollten, zur Seite und brüllte: "Der kann gehen!" So entkam ich dem Erschießungskommando.

 

Ich rannte nach Hause, um mich kurz zu verabschieden, und verschwand. Als ich zu dem Haus kam, in dem mein Freund wohnte, bei dem ich mich verstecken wollte, war es abgebrannt. Ich versuchte, mich in einem Straßenbahnwaggon zu verkriechen - aus Waggons von Straßenbahnen waren Straßensperren errichtet worden -, doch das war mir zu unsicher. Ich lief zu Bekannten - niemand zu Hause. Da ging ich auf gut Glück zur Hausbesorgerin, die mich flüchtig kannte, und sagte zu ihr: "Sie haben jetzt die Möglichkeit, entweder Sie führen mich zurück, woher ich gekommen bin, oder Sie helfen mir!" Da starrte sie eine Weile vor sich hin, nahm dann einen Schlüssel von der Wand, und ich fand in einer leeren Wohnung im Mezzanin dieses Hauses mein Versteck. Ich durfte mich aber selbst bei Bombenangriffen nicht sehen lassen. Nachher ist herausgekommen, dass drei solche wie ich in diesem Haus versteckt gewesen sind. Heimlich schlich ich mich also hinaus zur 46er [Straßenbahn-]Haltestelle, wo Frieda Schwab mit ihren gedruckten Zetteln "Österreich erwache!" täglich auf mich wartete. Sie war wirklich noch da. Mit einem ganzen Pack voll hatte sie mindestens eine Stunde dort gestanden und auf mich gewartet. Wir verteilten die Aufrufe so rasch als möglich, dann bat ich dieses wahrhaft mutige Mädchen, zu meinen Eltern zu gehen und vor dem Gangfenster zu rufen: "Ihr Sohn ist in Sicherheit!" und sofort wieder zu verschwinden. Sie tat es. Sie druckte immer weiter ihre Zettel und versorgte mich auch, so gut es ging, mit Lebensmitteln. Abend für Abend streuten wir unsere Zettel in Schlitze von Rollbalken, warfen sie in Telefonzellen, klebten sie auf der Straße an Hauswänden auf - "Österreich erwache!" [...]

 

Dass ich [bei der Verhandlung des Volksgerichtshofs] so relativ glimpflich davongekommen bin, verdanke ich dem Umstand, dass es mir gelang, mit Hilfe eines Aufsehers einen Brief [aus Regensburg] an meine Eltern zu schmuggeln. In diesem Brief bat ich sie, einen Zeugen für mich aufzutreiben. Der neben mir inhaftierte ehemalige Chef der österreichischen Staatspolizei flüsterte mir einmal beim Spazierengehen zu: "Such dir einen Zeugen, der aussagt, dass du die ganze Angelegenheit nicht ernst genommen hättest und die Zusammenkünfte nur als Spinnereien ansahst." Nach langem Suchen erklärte sich die Schwester eines meiner ehemaligen Schulkameraden, eine illegale Nationalsozialistin, bereit, entsprechend für mich auszusagen. Mit einem Brief von zu Hause erfuhr ich davon. Die zweiten Buchstaben aus jeder Zeile ergaben aneinandergereiht den Namen. Da ihr Mann außerdem noch SS-Offizier war, hatte ihre Zeugenschaft besonderes Gewicht. Ich meldete mich beim zuständigen Staatsanwalt, um ihm mitzuteilen, dass ich noch eine wichtige Aussage zu machen hätte. Die "Zeugin" wurde dann von der Gestapo scharf verhört: "So an blöden Monarchisten woll'n Sie helfen?" Aber sie blieb eisern dabei. Bei der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof musste sie das alles neuerdings aussagen. Sie blieb wieder dabei.

 

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