Der Text stützt sich auf den von Georg Kastner verfassten Endbericht für das Kooperationsprojekt des DÖW und des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich: Namentliche Erfassung der österreichischen Opfer politischer Verfolgung 1938 - 1945
Im Zentrum des vom DÖW gemeinsam mit dem Karl von Vogelsang-Institut durchgeführten Projekts standen nicht die Täter, sondern die Opfer. Deren Namen und biographische Daten zu erheben war den beiden Instituten nicht nur eine überfällige Aufgabe der österreichischen Zeitgeschichtsforschung, sondern auch ein erinnerungspolitisches Anliegen.
Die Eingrenzung des Untersuchungszeitraums auf die Zeit vom Verbot der NSDAP in Österreich im Juni 1933 bis zu ihrer Machtübernahme im März 1938 ergab sich aus der Überlegung, dass der Terror einer - noch dazu vom benachbarten Ausland unterstützten und mitunter auch gesteuerten - Untergrundbewegung anders zu bewerten ist als die gewalttätigen politischen Auseinandersetzungen in den Jahren zuvor, obwohl auch bei diesen immer wieder auch Zufallsopfer zu beklagen waren, die in diese Auseinandersetzungen in keiner Weise involviert gewesen waren. Allerdings hatte die österreichische NSDAP die - für die politischen Verhältnisse in Österreich Ende der 1920er-/Anfang der 1930er-Jahre kennzeichnenden - gewalttätigen politischen Aktionsformen bereits ab dem Frühjahr 1933, d. h. ab der Machtübertragung an die NSDAP in Deutschland, zu einer Terrorwelle gesteigert, die ein nationalsozialistisches Regime auch in Österreich "herbeibomben" sollte.
Nicht alle Sprengstoffanschläge dieser Zeit gingen auf das Konto von Nationalsozialisten. Nach der Niederlage im Februar 1934 war diese Form des öffentlichkeitswirksamen Protests gegen die Dollfußdiktatur eine Zeitlang auch in der Arbeiterbewegung populär. Doch, wie Gerhard Botz in seinem Standardwerk Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918 bis 1938 (2. Aufl., S. 278 f.) hervorhebt: "Den sozialistischen Böllerwürfen, Sprengungen von Telephonzellen und Leitungsmasten, Anschlägen auf staatliche Gebäude fehlte die Leichtfertigkeit im Riskieren von Menschenleben oder gar die direkte Mordabsicht der nationalsozialistischen Gewalt."
Die terroristische Gewalt der Nationalsozialisten kalkulierte bewusst auch Zufallsopfer ein und richtete sich nicht nur gegen die politischen Gegner im engeren Sinn, sondern insbesondere auch gegen Juden. Prominentestes Opfer war der jüdische Juwelier Norbert Futterweit, dessen Geschäft in Wien-Meidling am 12. Juni 1933 Ziel eines Bombenanschlags war. Futterweit selbst sowie ein Passant, der 63-jährige Johann Hodik, wurden dabei getötet, mehrere Personen (PassantInnen, Kunden und Angestellte Futterweits) teilweise schwer verletzt.
Die Täter betrachteten ihre mörderischen Anschläge als Teil eines Kriegs gegen die österreichische Regierung. Entsprechend dem nationalsozialistischen Weltbild waren nur Männer für diese Form der "Kriegführung" geeignet und - abgesehen von den zivilen Zufallsopfern - waren die Ziele ihrer terroristischen Aktionen ausschließlich männlich. Auch die "Feme", d. h. die Quasi-Hinrichtung von Anhängern, die des Verrats bezichtigt wurden oder aus der Bewegung "ausgestiegen" waren, richtete sich gegen männliche Parteimitglieder. In einem einzigen Fall war das Opfer eine Frau - eine Wiener Nationalsozialistin, die im Mai 1934 in Deutschland ermordet wurde. Ihre Leiche wurde im bayrischen Walchensee gefunden.
Von den Terroropfern zu unterscheiden sind die Toten und Verwundeten des Putschversuchs vom 25. Juli 1934 und des anschließenden kurzen Bürgerkrieges in mehreren Bundesländern, als von beiden Seiten extreme Gewalt angewendet wurde, die auch vor der Ermordung Unbeteiligter nicht zurückschreckte. Unter den über 100 Opfern auf Regierungsseite waren Soldaten und Offiziere des Bundesheeres, Polizisten, Gendarmen, Zollwachebeamte und - mehrheitlich - Angehörige von "Assistenzkörpern" der Exekutive, insbesondere Mitglieder des Heimatschutzes und in wenigen Fällen der Ostmärkischen Sturmscharen und des Freiheitsbundes. Die bekanntesten Opfer sind der im Bundeskanzleramt erschossene Engelbert Dollfuß und der ebenfalls bereits am Beginn des Putschversuchs ermordete Kommandant der Innsbrucker Sicherheitswache Franz Hickl. Mehrere unbeteiligte Zufallsopfer dieses Umsturzversuches sind ebenfalls namentlich bekannt.
Die rund 20 Opfer des NS-Terrors im Jahr vor dem Putschversuch waren mehrheitlich Angehörige der Exekutive und der "Assistenzkörper". Mindestens drei Personen fielen Feme-Morden zum Opfer.
Nach dem gescheiterten Putschversuch waren die meisten ermordeten Personen "Verräter" in den eigenen Reihen. Nur in den ersten Monaten nach der Niederschlagung des Juliputschs richtete sich der nationalsozialistische Terror weiterhin vor allem gegen Repräsentanten des "Ständestaats". Todesopfer forderten insbesondere Zwischenfälle nahe der deutschen Grenze; auch für diese Tötungen gilt die oben zitierte Charakteristik von Gerhard Botz über den Unterschied in der Gewaltausübung zwischen Nationalsozialisten und der linken Opposition: Auch illegale Sozialisten und Kommunisten setzten sich oft gewaltsam gegen Verhaftungen zur Wehr, wobei sie mitunter auch von der Schusswaffe Gebrauch machten. Für viele Nationalsozialisten hingegen bildeten Gendarmen und Grenzbeamte, die sich ihnen in den Weg stellten, ein legitimes Tötungsziel. Mehrere Beamte und Schutzkorpsmänner wurden von Nationalsozialisten erschossen, zahlreiche weitere teilweise schwer verwundet. Mindestens drei Angehörige der Exekutive kamen ab Herbst 1934 beim Versuch, beschlagnahmte Sprengmittel zu entschärfen, ums Leben. Am 2. Mai 1935 zerstörte ein Sprengstoffanschlag das Geschäft des Judenburger Bürgermeisters. Am 18. September 1935 versandten Nationalsozialisten eine Reihe von Briefbomben an regierungstreue Personen, jedoch konnten die verdächtigen Sendungen in Linz abgefangen werden. Ein Linzer Kriminalbeamter wurde dabei schwer verletzt.
Die (mindestens) acht weiteren Toten ab 1935 sind - mit einer Ausnahme - der "Feme" zuzurechnen. Inwieweit es sich dabei um Attentate im Auftrag von Leitungsorganen der Partei oder individuelle Morde handelte, konnte nicht in allen Fällen eruiert werden. Erschwert wird diese Aufgabe auch dadurch, dass zeitgenössische Medien dazu neigten, Verbrechen, bei deren Tätern ein Bezug zum nationalsozialistischen Untergrund hergestellt werden konnte, automatisch dem NS-Terror zuzurechnen. Doch nicht jeder Raubüberfall durch Nationalsozialisten war "Beschaffungskriminalität", selbst wenn die Täter dies - im Fall einer Flucht nach Deutschland - den nationalsozialistischen Behörden gegenüber so darstellten, und schon gar nicht hatte jeder Eifersuchtsmord im NS-Milieu politische Hintergründe, auch wenn Täter und Opfer politisch gegensätzlichen Richtungen angehörten.
Um feststellen zu können, gegen wen sich der Terror der illegalen NSDAP richtete, reicht es allerdings nicht, nur die Todesfälle zu untersuchen, da es in zahlreichen Fällen eher von zufälligen Begleitumständen als von den Absichten der Täter abhing, ob ihr Opfer den Anschlag überlebte. Daher müssen hierfür alle nahezu 800 Personen, die zum Ziel nationalsozialistischer Anschläge (wozu auch existenzbedrohende Sachbeschädigungen wie das Niederbrennen eines Bauernhofs zu rechnen sind) wurden, untersucht werden.
Dabei kann festgestellt werden, dass nach dem deutsch-österreichischen Juliabkommen 1936, das den österreichischen Nationalsozialisten wieder etwas mehr Bewegungsfreiheit eröffnete, wiederum Juden bzw. jüdische Einrichtungen zum Ziel nationalsozialistischer Anschläge wurden.
Das "typische" Opfer des NS-Terrors ist sowohl vor als auch unmittelbar nach dem Juliputsch 1934 ein Angehöriger der Exekutive (Gendarmerie, Zollwache), des Freiwilligen Schutzkorps oder eines anderen "Assistenzkörpers". Viele dieser Anschläge forderten Verletzte und in einigen Fällen auch Todesopfer unter Personen, die sich zufällig am Tatort aufhielten. Ab dem Jahre 1935 richteten sich nationalsozialistische Mordanschläge in Österreich fast ausschließlich gegen mutmaßliche Verräter in den eigenen Reihen.