Der Vormarsch der deutschen Truppen in Frankreich wurde von den Kameraleuten und den Fotografen der Propagandakompanien der Deutschen Wehrmacht dokumentiert und dominierte viele Wochen die gleichgeschalteten deutschen Massenmedien - Tageszeitungen, illustrierte Wochenzeitungen und vor allem die Wochenschauen.
Auch zahlreiche Soldaten der Deutschen Wehrmacht hielten privat den "Westfeldzug" fest, wobei sich die Fotomotive dieser "Knipserbilder" - ganz im Gegensatz zu solchen, die in Polen oder in der Sowjetunion aufgenommen wurden (siehe dazu: Elisabeth Boeckl-Klamper, Feindbilder, PDF, 4,4 MB) - kaum von Touristenaufnahmen unterscheiden und insbesondere Sehenswürdigkeiten zeigen. Viele legten von diesen Bildern während bzw. nach ihrem Einsatz Fotoalben an, die es - teilweise mit Aufschriften wie z. B. "Meine Dienstzeit" - im Fachhandel zu kaufen gab. Einige davon befinden sich in den Fotobeständen des DÖW. Meist wurden sie anonym im DÖW abgegeben oder von Personen überbracht, die derartige Alben beispielsweise in einer neubezogenen Wohnung vorgefunden hatten, d. h., die Urheber der Alben sind unbekannt.
Letzteres trifft auch auf das teilweise hier veröffentlichte Fotoalbum zu, das offensichtlich von einem österreichischen Wehrmachtsangehörigen zusammengestellt wurde und die Eroberung der Benelux-Länder und Frankreichs thematisiert. Im Gegensatz zu anderen einschlägigen Fotoalben enthält es keine privaten Knipserfotos, sondern ausschließlich Bilder - mehrheitlich Luftaufnahmen -, die von Fotografen der Propagandakompanien stammen.
Es ist heute Gemeingut der historischen Forschung, dass Fotos immer unter bestimmten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entstehen und lediglich ein aus dem Zusammenhang herausgelöstes Stück Wirklichkeit bzw. eine vom Fotografen gewollte Perspektive zeigen. Das gilt insbesondere für die von den Propagandakompanien aufgenommenen Fotos, deren Produktion und Verteilung sowohl von der Wehrmacht als auch vom Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung bestimmt wurden.
Daher sagen die in diesem Album gesammelten Fotos wenig über die tatsächliche Besatzungsrealität in Frankreich aus - sie sollten vielmehr die militärische Überlegenheit des NS-Regimes demonstrieren und politisch-ideologische Inhalte transportieren. Bemerkenswert sind die professionelle Qualität der Bilder sowie die handschriftlich vorgenommene Kontextualisierung der Fotos. Die Auswahl der Bilder und die dazugehörigen Texte sollten die militärische Schlagkraft und Überlegenheit der Deutschen Wehrmacht demonstrieren. Das lässt Rückschlüsse auf die ideologische Standfestigkeit des ursprünglichen Besitzers des Albums zu, fast scheint er den Triumph Hitlerdeutschlands über die französischen Streitkräfte als seinen ganz persönlichen Triumph zu empfinden; Empathie mit den Opfern von Bombenangriffen und Zerstörungen sucht man in den Bildtexten vergeblich. So notierte er etwa zu einem Foto, das mit 21. Juni 1940 datiert ist: "Zwanzig bis dreissig Transportzüge voll mit Soldaten und Maschinen stehen auf dem Bahnhof von Rennes. Alle Wagen werden von einem einzigen Kampfverband zerstört."
Der rassistischen Ideologie des NS-Staats entspricht auch die Legende zu einem Bild, das die Ruinen von Hangest sur Somme zeigt: "In Hangest an der Somme liegen franz. Kolonialtruppen. Vor dem deutschen Angriff werden sie unter Alkohol gesetzt. Sie toben in gefährlicher Weise. Der Ort muss durch Stuka [Sturzkampfflugzeuge] völlig niedergelegt werden." Schwarze französische Soldaten, so die Unterstellung, kämpfen nicht "mannhaft", sie sind betrunken und "toben", was die Assoziation mit wilden Tieren zulässt und auf eine angebliche "rassische Minderwertigkeit" verweist. Tatsächlich verübten Angehörige der Deutschen Wehrmacht am 5. Juni 1940 in Hangest sur Somme ein Massaker an senegalesischen Hilfstruppen, wie Raffael Scheck in seinem Buch Hitlers afrikanische Opfer. Die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten beschreibt.
Einem Foto von deutschen Soldaten vor dem Triumphbogen in Paris ("Kampflos fiel Paris in unsere Hand. Wenige Stunden nach der Übergabe marschieren deutsche Infanteristen am 'Arc de Triomphe' mit dem Ehrenmal des unbekannten Soldaten vorbei.") wird eine Aufnahme französischer Kriegsgefangener gegenübergestellt: "In langen Kolonnen ziehen zur gleichen Zeit die Reste der geschlagenen franz. Armee als Gefangene durch ihre eigene Hauptstadt […]". Selbst eine steinerne Muse, so scheint uns der Urheber des Albums mitteilen zu wollen, steht im Dienst der deutschen Okkupanten: "An dem grossen Hauptportal der Oper werden Feldfernkabel verlegt. Eine Muse trägt das Kabel in der ausgestreckten Hand." Zum Zeitpunkt dieser Aufnahme (21. Juni 1940) hatte sich der Flüchtlingsstrom nach Südfrankreich - Männer, Frauen und Kinder aus Frankreich, aus den bereits überrollten Staaten Holland, Belgien und Luxemburg ebenso wie Tausende österreichische Jüdinnen und Juden sowie GegnerInnen des NS-Regimes - längst in Bewegung gesetzt.
>> Heinrich Sussmann: Meslay 1940
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