Elisabeth Boeckl-Klamper
Unter den Augen und mit Zustimmung der Deutschen Wehrmacht und der SS ermordeten litauische Nationalisten in Kowno (Kaunas/Kauen) vom 24. bis 29. Juni 1941 rund 3800 Juden und Jüdinnen im Zuge pogromartiger Gewaltexzesse und Massenerschießungen; zu diesem Zeitpunkt wurden im Gegensatz zu den späteren systematischen Exekutionen noch vorwiegend Männer getötet. Gut dokumentiert sind die Ausschreitungen in der Lietukis Garage, denen mehrere Dutzend Juden zum Opfer fielen.
Im Zuge des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion wurde Kowno (Litauen) am 24. Juni 1941 von deutschen Truppen eingenommen. Viele LitauerInnen begrüßten die deutschen Soldaten als Befreier von der sowjetischen Okkupation (ab Mitte Juni 1940). Kurz zuvor hatte der sowjetische Geheimdienst NKVD in Litauen rund 15.000 Personen verhaftet und deportiert. Noch vor dem Eintreffen der Deutschen Wehrmacht war es in Kowno zu ersten Ausschreitungen seitens litauischer "Partisaneneinheiten" gegen die jüdische Bevölkerung gekommen. Die deutschen Besatzer nützten antisemitische und antisowjetische Ressentiments eines Teils der einheimischen Bevölkerung, um weitere sogenannte "Selbstreinigungsaktionen" litauischer "Partisanenverbände" zu inszenieren. Ursachen der Gewaltbereitschaft waren jahrhundertelang tradierte religiös motivierte Judenfeindschaft und hauptsächlich der - historisch unhaltbare - Vorwurf, die litauischen Juden wären Kollaborateure und Nutznießer der sowjetischen Okkupanten gewesen; mit der Gleichsetzung Jude = Bolschewik wurden Juden als Verräter der litauischen Nation diffamiert.
Die litauischen Jüdinnen und Juden standen noch unter dem Schock der ersten Pogrome, als wenig später - im Hochsommer 1941 - die Einsatzgruppe A mit Hilfe einheimischer Hilfspolizeieinheiten mit der systematischen Ermordung der jüdischen Bevölkerung begann. Dabei waren auf Grund ihrer Brutalität die Hilfspolizeieinheiten unter dem deutschen Kriminalkommissar und SS-Sturmbannführer Joachim Hamann ("Rollkommando Hamann"), denen allein etwa 60.000 litauische Juden und Jüdinnen zum Opfer fielen (Gerhard Paul, Die Täter der Shoah: fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?, Göttingen 2002, S. 51 f.), besonders berüchtigt. Bis Dezember 1941 wurden mehr als 100.000 litauische Juden und Jüdinnen ermordet. (Bartusevicius Vincas, Joachim Tauber, Wolfram Wette [Hrsg.], Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmorde und Kollaboration im Jahre 1941, Köln-Weimar 2003, S. 6.)
Auch Wiener Jüdinnen und Juden wurden in Kowno ermordet: Ein Deportationstransport aus Wien mit 1.000 Männern, Frauen und Kindern - ursprüngliches Ziel: Riga - wurde Ende November 1941 nach Kowno umgeleitet. Die Wiener Deportierten wurden im Fort IX, einem Teil der alten zaristischen Befestigungsanlagen, von litauischen "Hilfswilligen" unter dem Kommando von Angehörigen des Einsatzkommandos 3 erschossen (es sind keine Überlebenden bekannt).
DÖW Foto 2441 / 9 Aufnahmen:
Der Pogrom in der Lietukis Garage
Am 25. Juni 1941 (nach anderen Aussagen am 27. Juni 1941) brachten deutsche Soldaten ca. 50 Juden in den Hof der Lietukis Garage, wo sie unter Aufsicht litauischer Nationalisten mit bloßen Händen Mist beseitigen mussten. Als der Befehl kam, sich zu waschen, eskalierte die Situation: Zehn bis fünfzehn Litauer und einige Deutsche stürzten sich auf die Juden, hielten ihnen die Wasserschläuche in den Mund und erschlugen sie mit Knüppeln, Brecheisen, Schaufeln und Gewehrkolben. Neben zahlreichen ZivilistInnen waren auch deutsche Soldaten unter den Zuschauern; mehrere von ihnen fotografierten das Massaker, das mit Duldung des Armeestabs geschah.
Da die Geschehnisse in der Lietukis Garage in mehreren Fotoserien in verschiedenen europäischen Archiven aufliegen und es auch entsprechende Zeugenaussagen gibt, kann man davon ausgehen, dass die Aufnahmen vervielfältigt und unter Wehrmachtsangehörigen in Umlauf gebracht wurden. Die Fotos wurden ohne Datums- und Ortangabe, lediglich mit dem Vermerk, dass ein deutscher Soldat sie aufgenommen hätte, anonym im DÖW abgegeben.
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