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Norbert Jokl: "Ich bin Nichtarier ..."

 

Norbert Jokl, geboren am 25. Februar 1877

 

Deportation nach Maly Trostinec: 6. Mai 1942

 

 

Nach dem "Anschluss" 1938 wurde die Universität Wien – so wie die übrigen Hochschulen – binnen Kurzem gleichgeschaltet. Von der Vereidigung auf Hitler am 22. März 1938 waren Lehrkräfte jüdischer Herkunft und politische GegnerInnen ausgeschlossen; sie durften laut Erlass des Österreichischen Unterrichtsministeriums vom 26. März 1938 "bis auf weiteres" ihren Dienst nicht mehr antreten. Am 9. April informierte der kommissarische Dekan der philosophischen Fakultät, Viktor Christian, alle Privatdozenten und Lektoren über die notwendige Vorlage von Dokumenten, "aus welchen die Rassenzugehörigkeit ersichtlich ist".

 

 

Norbert Jokl, Oberstaatsbibliothekar der Universitätsbibliothek und Privatdozent (ab 1923 ao. Professor) für "Indogermanische Sprachwissenschaft mit besonderer Berücksichtigung des Albanesischen, Baltischen und Slavischen", antwortete am 19. April 1938:

 

"Auf Ihre Zuschrift vom 9. April, die mir wegen falscher Adresse mit Verspätung zukam, beehre ich mich zu erklären: Ich bin Nichtarier und gehöre der jüdischen Religionsgenossenschaft an."

 

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Wenige Tage später wurde seine Lehrbefugnis widerrufen. Jokl war kein Einzelfall: im Zuge der Umwandlung der Universität Wien in eine NS-Institution wurde – zum weit überwiegenden Teil aus rassistischen Gründen – über die Hälfte aller Hochschullehrer entlassen. (1)

 

 

Um dem anerkannten Albanologen Norbert Jokl weiteres wissenschaftliches Arbeiten (Beiträge für wissenschaftliche Zeitschriften, Studien in öffentlichen Bibliotheken) zu ermöglichen, unterstützte der (ab 1939) Dekan der philosophischen Fakultät Christian ein Gesuch Jokls um "Gleichstellung mit Mischlingen ersten Grades". Christian wandte sich in diesem Zusammenhang u. a. an den NS-Dozentenführer an der Universität Wien Arthur Marchet, den Dekan der philosophischen Fakultät der Universität München Walther Wüst und den Rektor der Universität Wien Fritz Knoll. Das Ansuchen wurde 1940 abgelehnt.

 

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Nur durch Intervention auch seitens der philosophischen Fakultät der Universität Wien konnte Jokl 1941 vor der Deportation in das "Generalgouvernement" bewahrt werden. Die folgenden Versuche Jokls, mit Unterstützung ausländischer Kollegen in die USA zu gelangen, scheiterten ebenso wie Bemühungen von italienischer Seite, Jokl mit dessen albanologischer Fachbibliothek die Ausreise nach Albanien (seit April 1939 von Italien annektiert) zu ermöglichen.

 

Ab 2. März 1942 befand sich Jokl im Sammellager; wenige Tage später, am 7. März, schrieb Dekan Christian an Alois Brunner (Zentralstelle für jüdische Auswanderung):

 

 

"Wie ich erfahre, soll Dr. Norbert Jokl, vormals tit. a. o. Professor an der philosophischen Fakultät der Universität Wien, aus Wien in seiner Eigenschaft als Jude abtransportiert werden. Angeblich sollen Bemühungen der italienischen Regierung im Gange sein Dr. Jokl samt seiner wissenschaftlichen Bibliothek nach Albanien zu bringen. So schmerzlich für die Fakultät der Verlust dieser Bibliothek wäre, deren Wert nicht so sehr ein materieller als ein wissenschaftlicher ist, so sehe ich doch keine Möglichkeit, sie hier in Wien zu halten, wenn die italienischen Bemühungen Dr. Jokl die Ausreiseerlaubnis nach Albanien zu erwirken, von Erfolg begleitet sein sollten, denn es ist mir klar, dass bei der gegenwärtigen Sachlage es schwer fallen würde, den Standpunkt der Fakultät gegenüber italienischen Wünschen durchzusetzen. Sollte jedoch Dr. Jokl nicht die Ausreiseerlaubnis nach Albanien erhalten, sondern nach Polen abtransportiert werden, so bitte ich dringend seine Bibliothek für die philosophische Fakultät sicherzustellen."

 

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Auch an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung richtete Christian am 30. April 1942 ein Ansuchen um Zuweisung der Bibliothek an die philosophische Fakultät. Ansprüche auf Jokls Bibliothek meldete allerdings auch der Generaldirektor der Nationalbibliothek, Paul Heigl, an; er sollte sich letztlich durchsetzen.

 

Norbert Jokl wurde am 6. Mai 1942 von Wien nach Maly Trostinec deportiert und dort nach dem Eintreffen am 11. Mai 1942 ermordet.

 

 

Literatur:
Mechthild Yvon, Der jüdische Albanologe Norbert Jokl und seine Bibliothek. Spielball zwischen Begehrlichkeit und akademischer Solidarität?, in: Murray G. Hall u. a., Geraubte Bücher. Die Österreichische Nationalbibliothek stellt sich ihrer Vergangenheit. Katalog zur Ausstellung vom 10. Dezember 2004 bis 23. Jänner 2005, Wien 2004, S. 104–117

Murray G. Hall / Christina Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ...". Eine österreichische Institution in der NS-Zeit, Wien–Köln–Weimar 2006, S. 215 ff.

 

 

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Downloads

8. 4. 1938 (Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Archiv der Universität Wien / Kopie: DÖW 6802b)
(106,6 KB)

9.4. 1938 (Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Archiv der Universität Wien / Kopie: DÖW 6802b)
(55,1 KB)

19. 4. 1938 (Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Archiv der Universität Wien / Kopie: DÖW 6802b)
(91,0 KB)

23. 4. 1938 (Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Archiv der Universität Wien / Kopie: DÖW 6802b)
(79,7 KB)

(Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Archiv der Universität Wien / Kopie: DÖW 6812)
(412,3 KB)

7. 3. 1942 (Entwurf, Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Archiv der Universität Wien / Kopie: DÖW 6812)
(130,7 KB)

30. 4. 1942 (Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Archiv der Universität Wien / Kopie: DÖW 6812)
(148,6 KB)

4. 5. 1942 (Archiv der Nationalbibliothek / Kopie: DÖW 4219)
(164,5 KB)

6. 5. 1942 (Auszug)
(593,6 KB)
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