Nach dem Skandal, den die Recherchen von Correctiv auslösten[1], sah sich Martin Sellner zur Rechtfertigung gezwungen, wozu ihm in Jürgen Elsässers Desinformationsblatt Compact ausreichend Gelegenheit gegeben wurde. Gleich ein ganzes Heft wurde Anfang Februar dieses Jahres unter das Motto „Geheimplan – was ich wirklich will“ gestellt. Neben Auszügen aus Sellners Familienalbum, einer Zusammenfassung seines Machwerks „Regime Change von rechts“[2] und einer Sammlung von Kolumnen, die er 2021-23 für Compact verfasst hat, steht seine – laut Eigenbekundung – Originalrede beim Potsdamer Treffen Ende November 2023 im Zentrum des Sonderheftes. Sellner hat sie mittlerweile auch zu einem weiteren Büchlein aufgeblasen: „Remigration. Ein Vorschlag“.
Nach dem altbekannten metapolitischen Sermon kommt Sellner unter dem Zwischentitel „Identitätspolitik und Remigration“ auf den Anlass des Skandals um seine „Remigrations“-Phantasien zu sprechen. Unter zustimmendem Bezug auf den Bundesvorsitzenden der Partei WerteUnion, Hans-Georg Maaßen (zuvor CDU) verlangt er eine „‚Chemotherapie‘ für Deutschland“: „Wir könnten die millionenfache Ansiedlung von Ausländern rückabwickeln, aber wir müssten uns darüber im Klaren sein, dass dies nicht mehr mit Pülverchen und Misteltherapie möglich ist. Die Migrationswende, man kann sie auch Remigration nennen, braucht aber auch eine andere Identitätspolitik, eine andere Kulturpolitik, Bildungspolitik, Erinnerungspolitik.“ (S. 16) Sellner beginnt bei der verhassten Erinnerung an die NS-Verbrechen und ihre Opfer und verlangt, dass diese „‚Politik der Schuld‘“ überwunden werde, weil nur dann auch der „Bevölkerungsaustausch“ überwunden werden könne (ebd.). Darum wollen sich Sellner und die Seinen „aus diesem Selbsthass, in dem sich Generationen suhlen, erheben“ und ihr „Land lieben“, denn nur dann seien sie „auch bereit, es zu verteidigen“ und „die notwendigen Maßnahmen für eine Politik der Identitätserhaltung und der Remigration zu treffen.“ (Ebd.)
An auffällig vielen Stellen seiner Rede betont Sellner den zivilisierten Charakter seines Plans, etwa wenn er vorgibt, „keine Gewalt, keine Deportationen, keine Vertreibungen“ gutzuheißen (S. 17f). Dem „Irrweg Militanz“ widmet er gleich mehrere Absätze, die Gewalt sei wie der „Parlamentspatriotismus“ eine „Sackgasse“, die „das rechte Lager überwinden“ müsse (S. 24). Die „totalitäre Struktur“ und die „autoritäre[n] Systeme“ – wie Sellner die liberalen Parteiendemokratien bezeichnet – seien nicht durch „das Anlaufen gegen den repressiven Staatsapparat“ zu schlagen, sondern nur im „Bereich der Ideen und der Begriffe“ – durch „Freischärler des Geistes.“ (Ebd.) Und wenn ein solcher doch einmal zur Waffe greife, dann sei das dem Wirken einer ganzen „Armada an Anschub-Provokateuren und Telegram-Agenten“ zuzuschreiben, die versuchen würden, „Militanz anzuleiern“ (S. 25). Auf der anderen Seite stehe der „Parlamentspatriot“, der sich vom Extremismus distanziere und sich zur Mitte hin orientiere, was ihn zu einem „ideologisch kastrierten Politiker“ mache (S. 26). Ihm wäre es „am liebsten, wenn sich alles außerhalb der Parteien auflösen würde“ und er sich nicht dauernd für das extremistische Vorfeld rechtfertigen oder sich von ihm distanzieren müsse (S. 27). Um aber das „System“ wirklich zu überwinden, brauche es die metapolitische (kulturelle) Wühlarbeit, die „den Rahmen des Sagbaren“ kontinuierlich nach rechts verschiebe (ebd.).
Die Aufregung um seine Rede versucht Sellner als das bloße Wirken von Verschwörungsglauben abzutun, wobei schon im Titel seiner Abrechnung mit den Verantwortlichen für das Auffliegen des Treffens die antisemitische Täter-Opfer-Umkehr durchschimmert: „Die Protokolle der Weisen von Potsdam“. Besonders deutlich wird diese, wenn er von einem „Volkssturm des Schuldkultes“, der den „Aufstieg des neuen Patriotismus verhindern“ wolle, schreibt (S. 41). In einem weiteren Rechtfertigungsversuch behauptet Sellner dann noch einmal, dass so etwas wie „Remigration“ auf „rechtsstaatliche[m] Weg“ möglich sei (S. 43). Sie fokussiere „auf jene Migranten, die unserem Land wirtschaftlich zur Last fallen, kriminell sind oder einen kulturellen Überfremdungsdruck ausüben.“ (S. 46) Im Gespräch mit Elsässer fragt dieser, was getan werden könne, „solange die Regierung noch von den Volksfeinden gestellt wird“ (S. 51). Sellners Antwort fällt eindeutig aus: „zur Not Barrikaden auf die Straße! […] Wird der Volkswille nicht umgesetzt, ist das oft der geeignete Anlass für einen friedlichen Sturm“ (S. 53).
Abgerundet wird das Heft von einem Vortrag, den Sellner bei der Compact-„Souveränitätskonferenz ‚Frieden mit Russland‘“ am 4. November 2023 in Magdeburg gehalten hat und in welchem er den „jüngste[n] Trick der globalen Eliten“ entlarven will: Zur Dämpfung des „Volkszornes“ würden (zuerst in Polen und dann in Italien) „Rechtspopulisten an die Macht“ gelassen. Dieses „neue Herrschaftsmodell“ verbinde „kosmetische Maßnahmen gegen illegale Migration mit der legalen Steigerung des Bevölkerungsaustauschs sowie Waffenlieferungen für die Ukraine, Israel, Taiwan – oder wohin auch immer die USA wollen.“ (S. 66) Schließlich diskutierte Sellner auf dieser Konferenz mit Elsässer, Oliver Kirchner (AfD) und dem ostdeutschen Reisebuchautor Peter Feist, ob man mit „Kriegsfanatikern für Remigration kämpfen“ solle oder könne. Auch wenn die gesellschaftlich weitgehend akzeptierte Rede vom importierten Antisemitismus den „Debattenraum“ zugunsten der extremen Rechten vergrößert hätte und alles zu begrüßen sei, was den „Bevölkerungsaustausch“ verlangsame, will sich Sellner nicht mit Liberalen oder dem US-dominierten Westen im Kampf gegen den Islamismus gemein machen bzw. in „keiner Weise die Schuldkult-Ideologie“ schlucken (S. 70).
[2] Während der „Jugendforscher“ Bernhard Heinzlmaier am 24. 1. 2024 auf exxpress.at Sellners „Regime Change“ verteidigt („Nicht einmal ein [sic!] Anklang an die nationalsozialistische Vernichtungspolitik…“), kritisiert der neurechte Historiker Claus M. Wolfschlag im Grazer Abendland (3/2023) Sellners „militärische Ausdrucksweise“, die „sicherlich für einige Bürger abschreckend“ sei und die die „Gefahr von Eskalationsspiralen“ vergrößern könne (S. 50). Wolfschlags Resümee: „Regime Change von rechts“ sei „vor allem ein Buch für Männer mit Hang zu militärisch inspirierten Planspielen.“ (S. 51)
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