Am 8. November brachte es eine rechtsextreme Splittergruppe mit einer Aktion in Wien-Josefstadt zu medialer Aufmerksamkeit. Sie fuhr mit einem Lautsprecherwagen in Polizeibegleitung durch die Straßen, aus dem Lautsprecher erklangen ein islamisches Gebet und Gewehrsalven, kommentiert mit antimuslimischen Parolen. Es handelte sich dabei - nach einer Kundgebung des Identitären-Zerfallsprodukts Die Österreicher am 5. November - bereits um den zweiten Versuch von Rechtsextremen binnen weniger Tage, den Terroranschlag in der Wiener Innenstadt für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Verlässlich wird dabei die djihadistische Erzählung vom unversöhnlichen Gegensatz der Kulturen übernommen und damit am Werk des Terroristen weitergesponnen. Die Kundgebungen des organisierten rechtsextremen Spektrums werden durch tendenziell Einzelpersonen zuzuordnende Übergriffe auf MuslimInnen und Sachbeschädigungen an muslimischen Einrichtungen ergänzt, die in den letzten Tagen aus mehreren Bundesländern berichtet wurden.
Zur Aktion mit dem Lautsprecherwagen erklärte die Wiener Landespolizeidirektion via Twitter (siehe: twitter.com/LPDWien/status/1325400614822699008), dass die Anmeldung der Veranstaltung unter irreführenden Angaben erfolgt und der tatsächliche Verlauf daher nicht absehbar gewesen sei. Eine Anzeige wegen Störung der öffentlichen Ordnung sei erstattet worden, auch nach dem Verhetzungsparagraphen werde ermittelt.
Der zentrale Protagonist der Aktion, Georg Nagel, tritt seit 2015 immer wieder als (Co-)Organisator von und/oder Redner auf rechtsextremen Veranstaltungen in Erscheinung – von PEGIDA Österreich über die katholisch-fundamentalistischen Märsche "für das Leben" bzw. "für die Familie" bis hin zu einer Kundgebung für Karl Lueger im heurigen März (siehe: 1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Platz). Basierend auf seinen Redebeiträgen und publizistischen Aktivitäten charakterisierte das DÖW auf twitter Nagel in einer ersten Reaktion auf die Straßenaktion vom 8. November als Neofaschisten. Den jüngsten Beleg für diese Einschätzung hatte Nagel erst zwei Wochen zuvor, am 26. Oktober, geliefert: im Rahmen des ebenfalls jährlich von ihm organisierten, diesmal besonders schütter besuchten "Marsches der Patrioten" in der Wiener Innenstadt zum Nationalfeiertag.
Nagel ereiferte sich in seiner dort gehaltenen Rede über den "Fetisch um die Verfassung". Diese und andere Grundlagendokumente der österreichischen Rechtsordnung gelten Nagel als "Oberflächlichkeiten". Er will die "politische Kaste abschaffen, die meint, aufgrund dieser Gesetze immer im Recht zu sein", und fordert "Weg mit den Volksverrätern!". Er und die Seinen kämpften "für die illiberale Demokratie", welche "die wahre Demokratie" sei – anders als der Status quo, den Nagel in dieser Rede als "Herrschaft der Minderwertigkeit, der Minderwertigen" bezeichnete.
Ihr setzt Nagel "die wahrhaftige, große, reine und vor Vitalität strotzende Demokratie des Volksstaats, in der das Ganze über allem steht", entgegen. Das Ganze ist die "Volksgemeinschaft", welche der liberale Staat zu Nagels Bedauern aufgelöst habe. Unter Bezugnahme auf Othmar Spann, den Ideologen des österreichischen "Ständestaats", will Nagel die "totalitäre Demokratie" durch den "wahren Staat" abgelöst sehen, "also eine organische Gesellschaft, die in Gliedern aufgebaut ist". Gegen Ende seiner Rede bemühte Nagel schließlich jene Verheißung einer glorreichen nationalen Wiedergeburt, die Roger Griffin als Palingenese bezeichnet und als ein zentrales Charakteristikum faschistischer Ideologie und Rhetorik beschrieben hat (siehe: www.diss-duisburg.de/2004/12/der-umstrittene-begriff-des-faschismus): Nagel will "auf den Ruinen dieser verkommenen Epoche eine neue Welt erbauen. Und die wird noch herrlicher sein als alles, was vorher war." Sich und seine zwei Dutzend Zuhörer beschrieb Nagel als "Speerspitze einer Bewegung", die "Österreich von Grund auf [...] erneuern und wieder auf den rechten Weg [...] bringen" werde. "Es lebe das Ganze, rot-weiß-rot bis in den Tod."
Weitere Reden auf der Veranstaltung hielten Georg Zakrajsek, Lobbyist für privaten Schusswaffenbesitz und -gebrauch, und Christian Zeitz vom Wiener Akademikerbund. Das Rednerpult zierte - passend zur reaktionären und antidemokratischen Ausrichtung der Veranstaltung - eine Flagge österreichischer MonarchistInnen.