logo
logo

Parlamentarische Anfragen der FPÖ zum DÖW (Antwort BM Michalek)


Beantwortung der parlamentarischen Anfrage der FPÖ-Abgeordneten Mag. Johann Ewald Stadler und Kollegen vom 17. Juli 1998 durch den Bundesminister für Justiz, Dr. Nikolaus Michalek

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Ewald Stadler, Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend ein Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 4. Mai 1998 zu 18 Bs 384/97, betreffend das "Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes" (DÖW), gerichtet und folgende Fragen gestellt:

"1. Hat Ihr Ministerium bzw. haben nachgeordnete, Ihrem Ministerium unterstehende Stellen jemals mit dem 'Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes' zusammengearbeitet?
Wenn ja, wann, wie oft, von welchen Abteilungen und in welchen Angelegenheiten?

2. Wird Ihr Ministerium bzw. werden nachgeordnete, Ihrem Ministerium unterstehende Stellen weiterhin mit dem 'Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes' (laut Gerichtsurteil 'kommunistische Tarnorganisation') und dessen Leiter Dr. Wolfgang Neugebauer (laut Gerichtsurteil 'Denunziant') zusammenarbeiten?
Wenn ja, warum?

3. Sind Sie bereit, den zwischen Ihnen, Ihren Amtsvorgängern und (laut Gerichtsurteil 'Denunziant') Dr. Wolfgang Neugebauer stattgefundenen Schriftverkehr dem Nationalrat vorzulegen?
Wenn nein, warum nicht?

4. Wie viele Personen wurden von dem (laut Gerichtsurteil 'Denunziant') Dr. Wolfgang Neugebauer bzw. dem 'Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes' (DÖW) oder diesem nahestehenden Leuten nach den Bestimmungen des § 3 des Verbotsgesetzes angezeigt?

5. Wie viele der angezeigten Personen wurden rechtskräftig verurteilt?

6. Welchen Gesamtbetrag hat das 'Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes' (laut Gerichtsurteil eine 'kommunistische Tarnorganisation') über die letzten 15 Jahre als Förderung aus Ihrem Ressort erhalten?"


Der Beantwortung der einzelnen Fragen sind zunächst folgende grundsätzliche Hinweise voranzustellen:

Die Anfrage fußt - wie aus ihren einleitenden Ausführungen und der Formulierung der einzelnen Fragen deutlich wird - auf einer grundlegend unrichtigen Prämisse. Dem in der Anfragebegründung genannten Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 4, Mai 1998, 18 Bs 384/97, lag eine Privatanklage von Dr. Wolfgang Neugebauer gegen Dr. F. R. wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 und 2 StGB zugrunde. In dieser Privatanklage wurde dem Beschuldigten Dr. F. R. vorgeworfen, in der Nr. 6/92 des periodischen Meldienwerks "Aula - Das freiheitliche Magazin" einen Artikel verfaßt und veröffentlicht zu haben, der zwölf den Privatankläger im Sinn des
§ 111 StGB beleidigende und herabsetzende Textstellen enthalte. Hinsichtlich elf dieser Textstellen fällten die Gerichte aus rechtlichen Erwägungen einen Freispruch, und zwar deshalb, weil Werturteile im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gemäß Art. 10 MRK zulässig sind. Die Meinungsfreiheit darf nach dieser Rechtsprechung nur insoweit beschränkt werden, als dies in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Aufrechterhaltung der Ordnung und anderer aufgezählter Werte unentbehrlich ist; die Grenzen strafloser Kritik sind danach in bezug auf Personen, die im politischen Diskurs stehen, weiter zu ziehen als in bezug auf Privatpersonen. Es handelt sich um jene Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach der unter anderem auch die Bezeichnung "Trottel" für einen österreichischen Politiker unter bestimmten Umständen durch den Schutz der Meinungsfreiheit als gedeckt erachtet wurde.

Mit dem auf dieser Rechtsprechung basierenden Teilfreispruch - wegen einer Textstelle wurde der Beschuldigte trotz Anlegung dieses äußerst toleranten Maßstabs das Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 und 2 StGB für schuldig erkannt - haben die Gerichte also keineswegs festgestellt, daß die Behauptungen des beschuldigten Artikelverfassers richtig seien. Es trifft also zum Beispiel nicht zu, daß ein Gericht festgestellt hätte, das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes sei eine "kommunistische Tarnorganisation" oder Dr. Wolfgang Neugebauer sei ein "Denunziant".

Angesichts dieses offenkundigen SachverhaIts kann ich nicht umhin, mein Befremden über die in der Anfrage vorgenommene Deutung des Urteils des Oberlandesgerichts Wien und die daraus abgeleitete Formulierung der einzelnen Fragen zum Ausdruck zu bringen.

Diese Fragen beantworte ich nun wie folgt:

Zu 1:
Zwischen dem Bundesministerium für Justiz, einzelnen Staatsanwaltschaften und Gerichten, der Justizanstalt Stein, aber auch mir persönlich einerseits und dem (richtig) Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes andererseits gab es - zum Teil wiederholt - Kontakte und Kooperationen. So verfaßte ich zum Beispiel in der vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes gemeinsam mit dem Bundesministerium für Justiz hergestellten Publikation "Stein, 6. April 1945" das Vorwort, und ich präsentierte dieses Buch am 6. April 1995 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung vor dem Haupttor der Justizanstalt Stein. Bei dem vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Juni 1996 veranstalteten Symposium "Entnazifizierung und Nachkriegsprozesse", an dem das Bundesministerium für Justiz mitbeteiligt war, sprach ich die Einleitungsworte zur Eröffnung am 13. Juni 1996. Für den im Anschluß daran erschienenen Tagungsband verfaßte ich ein Geleitwort, und ich nahm auch an der Präsentation dieses Buches am 15. Juni 1998 teil.

Die Kontakte der jeweils zuständigen Sektionen bzw. Abteilungen des Bundesministeriums für Justiz mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes betrafen im wesentlichen Angelegenheiten der Aufbewahrung und Auswertung von Justizakten, Forschungen zur österreichischen Nachkriegsjustiz, die Herausgabe von Broschüren und vereinzelt auch Einzelstrafsachen, in denen das Dokumentationsarchiv als Anzeiger auftrat. Das Bundesministerium für Justiz führt überdies gemeinsam mit dem Wissenschaftsressort und dem Institut für Zeitgeschichte seit den siebziger Jahren die Veranstaltungsreihe "Justiz und Zeitgeschichte" durch; an diesen - in zweijährigen Abständen stattfindenden - wissenschaftlichen Symposien nahmen fallweise auch Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs teil.

Die Kontakte zwischen einzelnen Gerichten und Staatsanwaltschaften und dem Dokumentationsarchiv beschränkten sich überwiegend auf Einsichtnahme in Akten, vor allem in Volksgerichtsakten; in einigen Fällen strafprozessualer Vorverfahren hatten sie auch die Beischaffung von Beweismitteln zum Gegenstand.

Zu 2:
Ich sehe keinen Grund, der gegen die Aufrechterhaltung der fruchtbaren Kontakte mit dem ''Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes" spräche. Das Dokumentationsarchiv ist als wissenschaftliche Einrichtung international anerkannt und leistet mit seinen Aktivitäten einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

Zu 3:
Ich sehe keinen Anlaß dafür, in diesem Kontext anders als sonst im Zusammenhang mit parlamentarischen Interpellationen vorzugehen, und würde daher bei konkreten Informationswünschen in bezug auf den zwischen meinen Amtsvorgängern, mir und Dr. Neugebauer gepflogenen Schriftverkehr die darauf gerichteten inhaltlichen Fragen beantworten, soweit dem nicht gesetzliche Hindernisse entgegenstehen.

Zu 4 und 5:
Hiezu liegen keine statistischen Unterlagen vor. Eine präzise Beantwortung dieser Fragen wäre daher nur mit einem unvertretbar hohen Aufwand möglich.

Die Auswertung der Jahresberichte der vier Oberstaatsanwaltschaften ergab, daß bei den Staatsanwaltschaften österreichweit jährlich nachfolgende Anzahl von Vorgängen nach dem Verbotsgesetz bearbeitet wurde. Daneben ist in Klammer die Anzahl der diesbezüglich rechtskräftig verurteilten Personen ausgewiesen:

1990: 229 (1)
1991: 276 (-)
1992: 708 (5)
1993: 623 (17)
1994: 715 (22)
1995: 874 (22)
1996: 536 (21)

Den zuständigen Beamten meines Hauses sind nur wenige Anzeigen von Dr. Neugebauer bzw. des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Vorbotsgesetz in Erinnerung. Einige dieser wenigen Anzeigen betrafen Sachverhalte, die ohnedies schon Gegenstand von Erhebungen gewesen waren. Zumindest je eine Anzeige aus den Jahren 1994 und 1995 führte jeweils zur rechtskräftigen Verurteilung einer Person wegen des angezeigten Sachverhalts. Einige Verfahren, denen (auch) Anzeigen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes zugrunde liegen, sind noch nicht abgeschlossen.

Zu 6:
Das Bundesministerium für Justiz beabsichtigt, dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Jahr 1998 für die Fortsetzung der Forschungen zur österreichischen Nachkriegsjustiz eine Förderung in der Höhe von S 150.000,- zu bewilligen. Sonstige Förderungen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes sind für den angefragten Zeitraum aus den zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht feststellbar.

15. September 1998

 

« zurück

 

Unterstützt von: