Wenn ein Nachrichtenmagazin wie "profil" über das DÖW berichtet, freut uns das zunächst. Das DÖW versteht sich nicht zuletzt als Serviceeinrichtung für alle zeitgeschichtlich Interessierten und ist schon von daher an Öffentlichkeit interessiert. Schade allerdings, wenn sich in der Berichterstattung Fehlinformationen, Einseitigkeit und Schielen nach Effekten häufen:
Am 3. August veröffentlicht "profil" einen von Thomas Vasek verfaßten Beitrag, in dem - vor allem durch die Überbetonung des Arbeitsbereiches Rechtsextremismus/FPÖ und weitgehende Ignorierung der umfassenden wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit des DÖW - ein völlig schiefes Bild des DÖW gezeichnet wird. Die Behauptung, daß das DÖW im Jahr 600 Anzeigen wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung erstatte, entbehrt jeder realen Grundlage. Im Jahr 1996 wurden neun und im Jahr 1997 fünf Anzeigen wegen Wiederbetätigung und Verhetzung an Staatsanwaltschaften gerichtet. Und nicht zuletzt verwundert es, daß gerade das "profil", das bisher die einschlägigen Bestände des DÖW von allen österreichischen Medien am öftesten und intensivsten benutzt hat, diese Sammel- und Forschungstätigkeit im Bereich Rechtsextremismus in Frage stellt.
In der Ausgabe vom 17. August schließlich läßt "profil" den Historiker Siegfried Mattl auf einer ganzen Seite über eine angebliche Verstrickung des DÖW in Parteien- und Behördeninteressen schreiben. Wie mehrere Leserbriefe, die für das DÖW Partei ergriffen, fand auch die Antwort von Brigitte Bailer, Mitarbeiterin des DÖW und Lehrbeauftragte am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, keinen Eingang in das Wochenmagazin. Im folgenden ihre Replik auf Mattl.
DIE POLITIK DES UNPOLITISCHEN
Eine Diskussion über das Spannungsverhältnis zwischen Politik und Wissenschaft, insbesondere auch Politik und Zeitgeschichte, zu führen erscheint durchaus sinnvoll, nicht zuletzt für eine Standortbestimmung der Wissenschaft und ihrer Betreiber selbst. Die Notwendigkeit dieser Reflexion trifft aber nicht nur das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes; auch die Universitäten selbst agieren selbstverständlich nicht im politikfreien Raum. Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung so gut wie aller Disziplinen, selbst der angeblich wertfreien Naturwissenschaften, liefen und laufen stets Gefahr, politisch instrumentalisiert oder entsprechend interpretiert zu werden. Die Zeitgeschichte, von Anfang an von rechtsextremer Seite heftig angefeindet, bewegte sich stets in einem politischen Raum im allgemeinen Sinn, im Sinn gesellschafts- und demokratiepolitischer Verantwortung, aber - besonders in ihren Anfängen - auch in einem parteipolitisch beeinflußten Raum. HistorikerInnen ist wohl noch die sogenannte "Koalitionsgeschichtsschreibung" der sechziger Jahre nur zu bekannt oder die je nach Weltanschauung divergierenden Positionen zum Februar 1934 und dem "autoritären Ständestaat" der folgenden Jahre bis 1938.
War die Auseinandersetzung mit rechtsextremen, rassistischen und neonazistischen Bestrebungen in ihrem Anfang vor allem auch ein Anliegen ehemaliger WiderstandskämpferInnen und Verfolgter - so stand die erste in Österreich abgehaltene Konferenz zu diesem Thema (1977) unter der Ägide von Hermann Langbein -, griffen Zeitgeschichte und Sozialwissenschaften diese Thematik wenig später auf, und die Analyse des Rechtsextremismus sowie dessen Ursachen wurde zu einem wissenschaftlichen Forschungsgebiet, in Österreich leider mit Verspätung und geringerem Einsatz als z. B. in der Bundesrepublik Deutschland. Das Dokumentationsarchiv hatte hier eine Vorreiterrolle und im Dokumentationsarchiv und seinen Arbeiten hat die österreichische Rechtsextremismusforschung bis heute ihren wesentlichen Schwerpunkt. Dazu bedurfte und bedarf es keiner parteipolitischen "Biegsamkeit", keines Auftrages aus Parteizentralen, wie nicht zuletzt aber von freiheitlicher und rechtsextremer Seite immer wieder vermutet wird. Wenn die FPÖ hier immer wieder in den Blickwinkel der WissenschafterInnen gerät, resultiert dies nicht aus machtpolitischen Fragen, sondern aus der Verflechtung von FPÖ und Rechtsextremismus seit den Anfängen dieser Partei. Die Autorin dieses Beitrages würde sich strikt gegen jedweden Versuch einer inhaltlichen Bevormundung oder Beeinflussung ihrer wissenschaftlichen Arbeit verwahren. Und wer ihre Arbeiten, insbesondere auch zur sogenannten Wiedergutmachung, kennt, wird ihr dies wohl auch nicht ernstlich unterstellen können oder wollen.
Verpflichtet fühlen sich die KollegInnen im DÖW schon, aber nicht den Parteizentralen, sondern den Opfern des Nationalsozialismus; die Erforschung deren Schicksals stellt nämlich quantitativ und qualitativ das Zentrum der Arbeit des DÖW dar. Sei es in der Erforschung der Namen und Schicksale der österreichischen Holocaust-Opfer, sei es in der Aufarbeitung der Geschichte der ins Exil gezwungenen ÖsterreicherInnen, sei es in der Frage nach dem österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus oder in den Bereichen KZ- und TäterInnenforschung.
Zu diesen Themen wurden vom DÖW alleine in den letzten Monaten zwei umfangreiche Publikationen und drei Broschüren herausgegeben, weitere folgen im Herbst. Diese finden jedoch nicht einmal annähernd jenes mediale Echo, das Arbeiten über Rechtsextremismus zuteil wird - mit den bekannten Konsequenzen einer stark verzerrten öffentlichen Wahrnehmung der Arbeit des DÖW.
Aber auch mit diesen Fragestellungen gewann und gewinnt man in der 2. Republik nicht nur Freunde. Immerhin dauerte es bis zum Juli 1991, bis ein österreichischer Regierungschef eine Mitverantwortung unserer Landsleute an den NS-Verbrechen öffentlich eingestand. Die Aversionen gegen eine ungeschminkte Aufarbeitung der Jahre 1938-1945 und deren Vorgeschichte finden sich jedoch - wie die Reaktionen zur Wehrmachtsausstellung zeigen - bedauerlicherweise parteienübergreifend.
Bei einer ernsthaften, nicht auf Effekt bedachten Betrachtung der Arbeit des Dokumentationsarchivs erweist sich die Behauptung einer machtpolitischen Einflußnahme als schlichtweg falsch, möge sie von der freiheitlichen Partei und deren SympathisantInnen noch so oft vorgebracht werden. Eine Nutzung unserer Materialien allerdings steht jedem/jeder offen, wie gerade StudentInnen, WissenschafterInnen, aber auch JournalistInnen aus dem In- und Ausland - nicht zuletzt auch des profil - nur zu gut wissen. Daher wäre es doch seltsam, irgendeinem Ministerium diese Nutzung zu untersagen. Die Abgeltung von Arbeitszeit und Kosten für Fotokopien als versuchte Einflußnahme zu werten, qualifiziert sich wohl von selbst.
Zurück zum Anfang: Eine Diskussion über das Spannungsverhältnis Politik und Wissenschaft wäre wünschenswert, sollte aber nicht über Zeitungskommentare, sondern im Rahmen eines geeigneten Forums, wie z. B. einem Zeitgeschichtetag, geführt werden.
Mag. Dr. Brigitte Bailer, Sozialwissenschafterin und Historikerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Lehrbeauftragte am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.