Ansprache im Rahmen der Gedenkfeier für die Opfer des Bombenattentats von Oberwart vor 25 Jahren, Oberwart, 4. Februar 2020
Das Bombenattentat von Oberwart war der erste politische Mord der Nachkriegszeit: ein Österreicher tötete vier seiner Landsleute aus politischen Motiven. Das Attentat markiert das Ende von fünf Jahrzehnten friedfertiger und konsensualer Politik in Österreich und ein Wiedererwachen eines mörderischen, rassistischen Rechtsextremismus. Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon wurden Opfer einer rechtsextremen Ideologie, die sich gegen Minderheiten im eigenen Land und gegen Zuwanderer und Zuwanderinnen richtete und richtet.
Die Bombe von Oberwart war eine direkte Reaktion auf die Anerkennung der Roma als österreichische Volksgruppe. Mit einstimmigem Beschluss des Nationalrates vom 16. Dezember 1993 wurden die österreichischen Roma- und Sintigruppen unter der Bezeichnung "Volksgruppe der Roma" als sechste österreichische Volksgruppe anerkannt. Dem war ein langes und zähes Ringen vorausgegangen. Schon seit den 1970er-Jahren hatten Vertreter der österreichischen Volksgruppen und internationale Roma-Aktivisten immer wieder eine Anerkennung im Sinne des Volksgruppengesetzes 1976 gefordert. Am 15. Juli 1989 wurde hier in Oberwart der erste Vertretungsverein der Volksgruppe etabliert. Die Bemühungen des Vereins unter der Leitung des ersten Präsidenten Ludwig Papai führten schon vier Jahre später zur offiziellen Anerkennung.
Mit dieser Anerkennung gelang es den österreichischen Roma und Sinti – wie es der erste Vorsitzende des Volksgruppenbeirates Prof. Rudolf Sarközi formulierte –, einen Schritt vom Rand der österreichischen Gesellschaft in deren Mitte zu machen. Die Anerkennung markierte tatsächlich das Ende einer jahrhundertelangen institutionalisierten Verfolgungsgeschichte – auch durch die Republik Österreich.
In der Zwischenkriegszeit lebten rund 12.000 österreichische Roma und Sinti auf dem Gebiet des heutigen Österreich, die Mehrzahl davon, rund 9000, im Burgenland. Dem Rassenwahn und der Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten fielen 90 Prozent der österreichischen Romabevölkerung zum Opfer. Zuerst als Zwangsarbeiter an zahlreichen Straßen-, Brücken- und Wasserkraftprojekten in Österreich ausgebeutet, wurden sie schließlich ab 1941 deportiert. 5000 von ihnen wurden in das Zigeunerlager Litzmannstadt im heutigen Lodz verschleppt und 1942 im Lager Chelmno ermordet. Tausende österreichische Roma und Sinti starben zwischen 1943 und 1945 im Zigeunerlager des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.
Den wenigen, völlig traumatisierten Überlebenden schlug auch nach 1945 in ihrer Heimat eine Welle der Ablehnung entgegen. Ihre Häuser waren fast ausnahmslos zerstört, ihre Ansprüche auf Haftentschädigung und Opferfürsorge wurden über Jahrzehnte nicht anerkannt. Erst ab Ende der 1970er-Jahre konnten sie Anschluss an den österreichischen Lebensstandard der Nachkriegszeit finden. Doch vom Schulsystem – und damit auch vom Arbeitsmarkt – blieben sie weitgehend ausgeschlossen, ihre Kinder wurden in die sogenannte Sonderschule abgeschoben, auch wenn sogar die Seelsorgeeinrichtungen des Vatikans protestierten. Der Titel von Ceija Stojkas erstem, 1988 erschienen Buch fasste ihre Lage treffend zusammen: Wir leben im Verborgenen. Umso überraschender die schnelle Anerkennung als Volksgruppe ein paar Jahr später
Zweifellos dürfte bei der schnellen und friktionsfreien Anerkennung im Dezember 1993 auch der Umstand eine Rolle gespielt haben, dass Österreich vor seinem unmittelbar bevorstehenden EU-Beitritt und nach der sogenannten Waldheim-Affäre bemüht war, sein international angeschlagenes Image wieder aufzubürsten – und der Formalakt einer Anerkennung einer kleinen Gruppe von rund 5000 österreichischen Roma und Sinti schien dafür ein probates Mittel. Doch wie so oft sollte ein kleiner Schritt langfristig große, ungeahnte Wirkung entfalten.
Die direkte Auswirkung der Volksgruppenanerkennung war allerdings völlig unvorhergesehen, ja unvorhersehbar und katastrophal. Am 5. Februar 1995 tötet eine Bombe des steirischen Rassisten und Terroristen Franz Fuchs vier Angehörige der Volksgruppe. Der Bombenanschlag von Oberwart und die Briefbombenserien der Jahre 1993 bis 1996 markieren den Beginn einer neuen Welle rassistischer und rechtsextremer Hetze und Gewalt in Österreich.
Der Täter, der 1996 eher zufällig gefasst wurde, hatte bereits in den Jahren zuvor durch die Platzierung und Verschickung von Rohr- und Briefbomben versucht, mehrere Menschen zu töten. Pfarrer August Janisch, ORF-Moderatorin Sylvana Meixner, der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk und der burgenländische Gemeindebedienstete Erich Preiszler überlebten schwer verletzt. Der Klagenfurter Polizist Theo Kelz verlor beim Versuch, eine Bombe von der Eingangstür einer zweisprachigen Volksschule zu entfernen, beide Hände.
Für die Roma aber markierte das Attentat auch den Beginn einer völlig neuen Erfahrung. Erstmals in der Geschichte der österreichischen Roma solidarisierten sich die Organe der Republik und weite Teile der Bevölkerung mit ihnen. Am Begräbnis der Opfer, unter Anwesenheit des Bundespräsidenten sowie von Vertretern der Bundes- und Landesregierung, nahmen über 10.000 Menschen teil, es war eigentlich ein Staatsbegräbnis.
Politische FunktionärInnen machten es sich in den Folgemonaten zum Anliegen, sich bei allen öffentlichen Anlässen mit MinderheitenvertreterInnen zu zeigen. Plötzlich saßen Vertreter der Minderheit wie Rudolf Sarközi oder der Maler Karl Stojka in der ersten Reihe der Salzburger Festspiele, weitere waren Gäste auf den Sommerfesten des Bundeskanzlers und in Konfliktfällen Ansprech- und Verhandlungspartner von Ministern, Landeshauptleuten oder Polizeipräsidenten.
Zu den wesentlichen Erfolgen der Folgejahre und -Jahrzehnte gehörte die Etablierung des Romafonds, die wissenschaftliche Dokumentation der österreichischen Romasprachen, die namentliche Erfassung der Holocaust-Opfer unter den österreichischen Roma und Sinti im Zuge der österreichischen Historikerkommission und – nicht zu vergessen – erstmals maßgebliche Entschädigungszahlungen aus den eingerichteten Entschädigungsfonds an die überlebenden Opfer und die Nachfahren der Ermordeten. Als besonderes Beispiel sei ein europaweit richtungsweisendes Projekt hervorgehoben, das ebenfalls hier in Oberwart seinen Anfang nahm: die Etablierung der außerschulischen Lernbetreuung. 1995, zum Zeitpunkt des Attentats, hatte fast kein Bewohner und keine Bewohnerin der Romasiedlung Oberwart eine abgeschlossene Schul- oder eine Berufsausbildung. Mit Hilfe der außerschulischen Lernbetreuung gelang es, die schulischen und beruflichen Karrieren von Romakindern im Burgenland völlig dem burgenländischen Standard anzugleichen. Heute gibt es unter den österreichischen Roma und Sinti statistisch genauso viele MaturantInnen und Studierende wie in der übrigen österreichischen Bevölkerung.
Viele dieser Entwicklungen wurden und werden durch die Volksgruppenförderung des Bundeskanzleramtes in Abstimmung mit den Volksgruppenbeiräten unterstützt. Im Gegensatz zu Einrichtungen anderer Länder haben diese Beiräte jedoch kaum Befugnisse und ihre einzige Kompetenz beschränkt sich auf die Verteilung der stetig schrumpfenden Förderung auf die Vereine der Volksgruppe. Österreichische Romapolitik hat wirkliche Erfolge zu verzeichnen, die Volksgruppenbeiräte und die Volksgruppenförderung gehören nicht dazu.
Sind also Rassismus und Antiziganismus in Österreich überwunden? Leben die österreichischen Roma heute ihr Leben befreit von rassistischen Vorurteilen oder Hetzkampagnen? Natürlich nicht!
Aber Österreich ist die unheilvolle Entwicklung seiner mittel- und osteuropäischen Nachbarländer erspart geblieben, wo Roma heute meist als eine geächtete, marginalisierte und diskriminierte Minderheit, oft in erbärmlichen Ghettos leben. Eine Studie des UNDP (United Nations Development Program) in Tschechien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei zeichnet ein klares Bild. Dort wurden tausende Menschen, die sich selbst als Roma bekennen, befragt. Befragt wurden aber auch die sogenannten SozialexpertInnen ihrer Umgebung, also PolizistInnen, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen und Gemeindebedienstete, wer denn ihrer Meinung nach sogenannte "Zigeuner" in ihrer Gemeinde seien. Das Ergebnis war in allen vier Ländern gleich: Die Übereinstimmung zwischen denen, die sich selbst als Roma bezeichnen, und jenen, die von anderen für Roma gehalten werden, liegt nur knapp über 50 Prozent. Die Hälfte aller Roma wird nicht als Roma wahrgenommen, einfach weil sie nicht arm sind. Und die Hälfte aller Menschen, die für Roma gehalten werden, sind keine Roma, sondern einfach nur arm. Was wir hier sehen ist eine Ethnisierung der Armut. Und was tut man, wenn man schon arm, arbeitslos und marginalisiert ist und nun auch noch Gefahr läuft, zur diskriminierten Minderheit der sogenannten "Zigeuner" gezählt zu werden? Man engagiert sich bei jenen Gruppen, die am radikalsten gegen die sogenannten "Zigeuner" auftreten.
Diese rassistische Radikalisierung, wie wir sie vielerorts in unseren östlichen Nachbarländern erleben, ist uns bislang erspart geblieben, weil wir in Österreich bislang die Ethnisierung der Armut und damit die Ethnisierung der Sozialpolitik vermieden haben, weil institutionalisierter Rassismus in Österreich als unvereinbar mit den demokratischen Grundwerten der Republik gilt; das war zumindest bis vor einigen Jahren unbestrittener Grundkonsens österreichischer Politik.
Wir dürfen uns nicht täuschen lassen: ethnisch-rassistische Politikansätze sind auch in Österreich wieder auf dem Vormarsch. Unser Pinkafelder Nachbar Norbert Hofer war federführend daran beteiligt, dass im Programm der FPÖ neben dem Bekenntnis zur "deutschen Kultur- und Sprachgemeinschaft" auch das Bekenntnis zur "deutschen Volksgemeinschaft" wieder eine Rolle spielt. Und in direkter Konsequenz davon finden wir im aktuellen Handbuch Freiheitlicher Politik die Forderung nach unterschiedlichen Pensionsleistungen für autochthone und nicht-autochthone ÖsterreicherInnen, also für Einheimische und Nicht-Einheimische. Und wer wird in Zukunft dann beurteilen, wer als "einheimisch" gilt und wer nicht?
Hier ist eine Grenze überschritten! Nie wieder darf ethnisch-rassistische Politik in Österreich Fuß fassen. Die Gleichheit aller österreichischen StaatsbürgerInnen vor dem Gesetz – mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten – ist der Garant unsere Freiheit und unserer friedlichen Koexistenz. Dazu mahnen die vier Opfer von Oberwart: Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon.