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Richtigstellung – Worte aus Berlin

Gastbeitrag der deutschen Politologin Astrid Bötticher über rechtsextreme Versuche, verschiedene Zweige der (Rechts-)Extremismusforschung gegeneinander auszuspielen.

 

Astrid BÖTTICHER (Berlin) ist Politikwissenschaftlerin und gehört dem erweiterten Expertenkreis des Radicalisation Awareness Network (RAN) der EU-Kommission an. Sie promovierte an der niederländischen Universität Leiden zur wissenschaftlichen Unterscheidung von Radikalismus und Extremismus im deutschsprachigen Raum und beschäftigt sich aktuell u. a. mit Theorien der Extremismusforschung und technikbasierten (Un-)Sicherheitsfragen. Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen zählt eine gemeinsam mit Christoph Kopke erarbeitete Analyse zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren für das Jahrbuch für Öffentliche Sicherheit 2018/19.

 

 

In der Tagesstimme, einem für die Verbreitung von Falschnachrichten und Propaganda bekannten Portal, welches der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) nahesteht, schreibt ein gewisser J. Schernthaner über die Frage, ob die Einstufung der IBÖ als rechtsextreme Gruppierung richtig sei. An sich ist dies eine Banalität: Der Bock, der sich zum Gärtner macht, liefert wenig Überraschendes.

 

Selbstverständlich versuchen Rechtsextremisten immer wieder, die Extremismusforschung und ihre klare Haltung gegen jede Form des Extremismus auszubooten. Sie tun dies mal, indem sie mit dem Finger auf eine Konkurrenzideologie zeigen und in Mimimi-Manier verlangen, man solle doch die antidemokratischen und menschenrechtsfeindlichen Positionen der anderen thematisieren und die eigenen menschenrechtsfeindlichen und antidemokratischen Ideologeme bitte unberührt lassen. Ein andermal versuchen sie, das wissenschaftliche Verfahren zur Analyse extremistischer Gruppierungen anzugreifen oder deren zugrunde liegende Theorie. Es heißt dann, diese oder jene Theorie sei der Konkurrenzideologie zuzuordnen oder ein Verfahren zur Bestimmung eines extremistischen Gehalts sei gar nicht wissenschaftlich. Dann wieder versuchen sie das Blatt zu wenden und behaupten, die liberale Mehrheitsgesellschaft und ihre Institutionen zur Bekämpfung ideologiegerichteter Hasskriminalität würden versuchen, sie zu unterdrücken, indem sie stigmatisiert würden. Das Recht auf eigene Meinung wird dann ausgespielt und es wird so getan, als ob es ein Recht darauf gäbe, kritiklos und unwidersprochen zu bleiben. Immer sind sie die armen Würstchen, die man bemitleiden solle - so sehen sie selbst das in jedem Fall.

 

Selbstverständlich sind dies alles außerordentlich langweilige Versuche, sich selbst wichtig zu machen und seinen eigenen Namen von etwaigen, aus den Feststellungen der Forschung resultierenden Vorwürfen reinzuwaschen. Normalerweise ist es die Druckerschwärze nicht wert, auf solche profanen Artikel irgendwelcher Schreiberlinge zu antworten. Brisant ist lediglich, wenn solche "Artikel" kurz vor den Europawahlen auftauchen und nichts anderes sind als der Versuch, Wähler von der eigenen Harmlosigkeit zu überzeugen. Selbstverständlich ist in diesem Falle auch klar, dass der außerparlamentarische Arm der österreichischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) – und so lässt sich die IBÖ aufgrund ihrer mannigfaltigen Verbindungen zu dieser Partei bezeichnen (ähnlich dem Verhältnis zwischen der Identitären Bewegung Deutschland/IBD und der Alternative für Deutschland/AfD) – aufgrund seiner Verbindungen zum Rechtsterroristen Brenton Tarrant unter Druck geraten ist.

 

Im Übrigen ist es nicht neu, dass das Vorfeld des Terrorismus immer versucht, seine eigene Rolle herunterzuspielen.

 

Die Extremismusforschung mit all ihren verschiedenen Ansätzen lässt sich damit nicht auseinanderdividieren. Die verschiedenen Forschungszweige hatten schon immer ihre eigene Berechtigung, sie sind nachvollziehbar und arbeiten transparent. Die Extremismusforschung arbeitet nach den Maßgaben der Wissenschaft. Der liberalen Gesellschaft ist klar, dass die Institutionen zur Extremismusbekämpfung, dies sind vornehmlich der Inlandsgeheimdienst und die Polizei, letztlich zum Schutz der Zivilbevölkerung etabliert worden sind und nach den Maßgaben des Rechtsstaates arbeiten. Davon zu trennen ist die zivilgesellschaftlich motivierte Extremismusbekämpfung, die eine dritte Säule darstellt.

 

Nun denn.

 

Zunächst wird in dem Artikel kritisiert, der "DÖW-Begriff" des Extremismus würde auffallend oft zitiert oder übernommen. Diese Kritik deutet darauf hin, dass der Schreiber sich mit der Wissenschaft kaum auskennt. Einem Institut, dessen Artikel oft erwähnt, zitiert oder geteilt werden, wird gemeinhin Qualität unterstellt. So arbeiten zum Beispiel alle "Zitations-Indexe" – sie zeigen, wer häufig zitiert wird, und behaupten, dass dies etwas über die Qualität eines Artikels oder eines Instituts usw. aussagen würde. Bisher ist diese Art der Qualitätsmessung in sämtlichen Wissenschaften anerkannt. Medien erkennen diese Qualitätsbestimmung an und arbeiten dann oft mit den wissenschaftlichen Maßgaben oder Definitionen, die in der jeweiligen Fachcommunity anerkannt sind.

 

In Schernthaners Artikel wird behauptet, Miroslav Mareš und ich hätten eine Extremismusdefinition vorgelegt, die die IBÖ und ihren Apologeten und Anführer Herrn Sellner entlasten würde. Gemäß unserer Extremismusdefinition sei Herr Sellner weder Extremist, noch gehöre er zum militanten Vorfeld des Terrorismus.

 

Dies ist falsch. Es handelt sich bei dem herangezogenen Buch Extremismus – Theorien, Konzepte, Formen (München 2012) um ein Lehrbuch, welches bewusst auf eine eigene Definition von Extremismus verzichtet. Stattdessen werden die einzelnen Spielarten der Extremismusforschung, einem Baukastenprinzip gleich, vorgestellt. Kurzum: Es existiert keine Definition in dem Buch, die von uns entwickelt worden wäre.

 

Es wird in dem Artikel im Übrigen auch behauptet, weil Terrorismus, Extremismus und Radikalismus nicht dasselbe seien, seien sie auch nicht gleich. Wahr ist: es handelt sich in jedem Falle immer um die Demokratie herausfordernde Strömungen. Zur komplizierten Unterscheidung von Radikalismus und Extremismus veröffentlichte ich einige Jahre später eine Forschungsarbeit, die hier abgerufen werden kann. Leider müssen sich Autoren von Falschnachrichten nicht die Mühe machen, wissenschaftliche Ausarbeitungen zu lesen, denn sie haben eine Form des Konstruktivismus radikalisiert, in der es gänzlich egal ist, ob gelogen wird oder nicht. Der Realismus wird einfach abgesungen. Tatsache bleibt: der bürgerrechtsorientierte Radikalismus ist etwas genuin anderes als etwa Extremismus und Terrorismus, die sich begrifflich viel näherstehen. Einem Lügner, bei dem unklar ist, ob er dem Rechtsterrorismus nahesteht oder nicht und der sich und seine rechtsextreme, außerparlamentarische Gruppierung noch kurz vor der Europawahl rehabilitieren möchte, um den parlamentarischen Arm zu entlasten, möchte ich jedenfalls klar widersprechen: Zu keiner Zeit würde ich die FPÖ und ihre aktiven Mitglieder als lupenreine Demokraten bezeichnen. Die IBÖ ist klar rechtsextrem und bewegt sich im Vorfeld des Rechtsterrorismus. Es handelt sich um eine aktiv kämpferische Gruppierung, die Gewalt bejaht, Kontakt zu mindestens einem Terroristen unterhalten hat und dessen führendem Mitglied die Einreise in verschiedene Länder der westlichen Hemisphäre untersagt worden ist (als Gefahrschutzmaßnahme der die Einreise verweigernden Länder). Eine sehr gute Ausarbeitung zu der inneren Verbindung zwischen Terrorismus und dessen Vorfeld lieferten im Übrigen Stefan Malthaner und Peter Waldmann (Radikale Milieus. Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen, Frankfurt/M.-New York 2012). Kurzum: Radikalismus, Extremismus, Terrorismus und Populismus sind alle Teil eines semantischen Feldes. Wie genau sich das Verhältnis bestimmen lässt, ist auch eine Frage des Extremismusansatzes, wie ich an anderer Stelle dargestellt habe.

 

Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass die IBÖ und die mit ihr verbundene Partei, die ihren parlamentarischen Arm darstellen könnte, die FPÖ, rechtsextrem sind. Dies ist für niemanden eine Neuigkeit. Der Versuch des Autors des rechtsextremen Falschnachrichtenportals, das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) und seine Forschungsergebnisse herabzuwürdigen, ist ein offensichtlicher Versuch, die Extremismusforschung auseinanderzudividieren. Diese Versuche kennen auch andere universitätsnahe Institute, wie das Institut für Demokratieforschung in Göttingen, oder private Initiativen, wie das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum e.V. (apabiz). Es wird behauptet, dass der Antifaschismus eine selbst durch extremistische Ideologie geleitete Abwehrwaffe linker Provenienz sei. Die "echte" Extremismusforschung sei der IBÖ gegenüber nicht so kritisch und käme nicht zu den gleichen Ergebnissen wie das DÖW, dass nämlich die IBÖ rechtsextrem sei. Erstaunlich (1) bleibt, dass das DÖW dezidiert den "Extremismusbegriff" verwendet - also auf einen Begriff abstellt, den andere Institute konsequent ablehnen, weil er, so die Kritik, herrschaftszentriert sei (er wird freilich anders definiert). Eine Analyse des DÖW-Begriffs ist sicherlich - gerade im Vergleich - ein wichtiges und interessantes Anliegen, doch muss eine eingehende Analyse an dieser Stelle unterbleiben. Für die Apologeten der IBÖ ist es ohnehin nicht relevant, sie haben an echter Aufklärung kein Interesse. Bei allen anderen Lesern möchte ich mich auf einen späteren Zeitpunkt vertagen und auf Ausarbeitungen des DÖW selbst verweisen.

 

Hier nur kurz ein paar Anmerkungen, die meinen Punkt nachvollziehbar machen können: In der Regel nutzen – dies gilt jedenfalls für deutsche Institute – "linke" oder sich "links" definierende Institute eher den Begriff "Radikalismus", wie etwa der im Gebiet anerkannte Rechtsextremismusforscher Prof. Dr. Michael Minkenberg, der an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder lehrt, ihn benutzt (Die neue radikale Rechte im Vergleich. USA, Frankreich, Deutschland, Wiesbaden 1998) – und den Extremismusbegriff klar ablehnt, auch Christoph Kopke wäre zu nennen, der einmal eine Polemik dazu veröffentlichte (Die Extremismus-Formel. Zur politischen Karriere eine wissenschaftlichen Ideologie, gemeinsam mit Lars Rensmann, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 12/2000, S. 1451-1462). Auch in Göttingen tut man sich schwer mit dem Begriff des Extremismus und nutzt ihn – wissenschaftlich begründet – lediglich für rechte Phänomene, scheint aber noch in der Diskussion zu stecken (siehe: Werkstattbericht der Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen (FoDEx), Demokratie-Dialog, 1/2017)

 

Eine Ausarbeitung zu dem für den verfassungspolitischen Ansatz (und dessen generischen Extremismusbegriff) wichtigen NPD-Urteil legte ich zusammen mit Christoph Kopke und Alexander Lorenz vor (Die AfD verbieten?). Da der verfassungspolitische Ansatz eine (letztlich hochproblematische) Deutschlandzentrierung aufweist, bleibt dieser Ansatz sicherlich für Österreich irrelevant. Dennoch bleibt auch hier festzustellen, dass nach Maßgabe des generischen Extremismusbegriffes und seiner Theorie Organisationen als extremistisch einzugruppieren sind, die der Radikalität der FPÖ – und insbesondere der IBÖ – nachstehen. Der verfassungspolitische Ansatz der Extremismusforschung zieht die zentralen Verfassungsabschnitte, die "Kernmerkmale der Demokratie" genannt werden, heran. Mittels dieser Reihe an Bestimmungen (kritisch oft als "Kettenzitation" bezeichnet) und in Kombination mit den zentralen Urteilen des (deutschen) Bundesverfassungsgerichts, wird der Wesensgehalt der Demokratie bestimmt. Der Extremismus wird als Sammelbezeichnung für unterschiedliche Ideologien und deren Strömungen genutzt, die in Feindschaft zu diesen Grundwerten stehen oder die Demokratie als solches beseitigen wollen. Vor einigen Jahren veröffentlichte ich zusammen mit Miroslav Mareš in dem vorerwähnten Lehrbuch eine wissenschaftsmethodische Kritik an dem Ansatz. Gerne möchte ich einen weiteren Ansatz ins Treffen führen – nur um den Autoren der Tagesstimme zu belegen, dass die Forschung in sich vielgestaltig ist. Manchmal muss man sich die Mühe machen.

 

Zu den gegen das DÖW gerichteten Vorwürfen Schernthaners lässt sich jedenfalls sagen: Beides ist falsch.

 

Es gibt keine "echte" und "unechte" Extremismusforschung, sondern Verfechter unterschiedlicher Ansätze, die sich gegenseitig kritisieren und die Forschungsmethoden der Extremismusforschung insgesamt thematisieren (wie es in der Wissenschaft im Übrigen üblich ist und bekanntlich zu einem "Fortschritt" führen soll). Einige Ansätze stehen sich näher, andere nicht. So sind der Extremismusansatz des DÖW und der Ansatz des Duisburger Instituts für Sprachforschung sicherlich leichter miteinander in Einklang zu bringen als mit dem des Hannah-Arendt-Instituts in Dresden. Dies bedeutet aber nicht, dass man dem DÖW, dem Duisburger Institut für Sprachforschung oder dem Hannah-Arendt-Institut vorwerfen könne, ihre Wissenschaft sei nicht seriös. Ersteres ist antifaschistisch und zieht seine Analyse aus einem kommunikativ-historischen Komplex (der sich jetzt nicht auf die Schnelle auflösen lässt – sorry Tagesstimme, aber die Dinge sind eben nicht einfach, auch wenn Ihr damit überfordert seid), Letzteres zieht seine theoretische Basis aus einer Distanzmessung zur Demokratie, die auf einer Kettenzitation von Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts in Kombination mit einigen grundgesetzlich verankerten Rechtsnormen basiert. Gegeneinander ausspielen lassen sich beide Ansätze dennoch nicht – auch wenn der Artikel der Tagesstimme dies versucht.

 

Der Antifaschismus lässt sich als eine Haltung verstehen. Selbstverständlich ist jede Form der Extremismusforschung von der Haltung her immer auch antifaschistisch. Die Extremismusforschung hat sich aufgrund des Emporkommens faschistischer Bewegungen im 20. Jahrhundert gegründet. Vorreiter waren Seymour Martin Lipset, Hannah Arendt, Hans Buchheim, Eugen Kogon und Ernst Fraenkel, aber auch Franz Neumann. Viele Politologen haben sich in der Etablierung von Untersuchungsmethoden zur Ergründung und Bekämpfung extremistischer Ideologien einen Namen erarbeiten können. Leider wurden die Extremismusforschung und ihre einzelnen Bezüge in Österreich und Deutschland bisher nicht zu einem Objekt historischer Forschung gemacht (vielleicht eine gute PhD-Arbeit, angesiedelt am europaweit anerkannten DÖW?). Es gibt allerdings eine Vielzahl an Arbeiten, die Referenzen zur historischen Entwicklung einzelner Forschungszweige machen. Der Ansatz des Antifaschismus ist historisch viel älter. Es gibt eine Reihe an interessanten Ausarbeitungen zu den historischen Bezügen des Ansatzes, doch für die Autoren der Tagesstimme wird dies keine Rolle spielen, die machen eh, was sie wollen – wenngleich man ihnen zurufen möchte, dass der Weg in eine Bibliothek auch für sie gewinnbringend sein könnte. Jedenfalls nahmen und nehmen beide Ansätze unterschiedliche Wege, wenngleich sie vieles gemein haben, trennt sie auch einiges.

 

Indes ist es so, dass das Forschungsprogramm des Antifaschismus, also der Antifaschismus als Forschungsmethode, immer wieder kritisiert wurde und kein allgemeingültiges Konzept der Extremismusforschung besitzt. Dies allerdings gilt für alle Strömungen der Extremismusforschung. Es ist bisher nicht dazu gekommen, dass die Vertreter der einzelnen Strömungen sich dezidiert austauschen. Ein Kongress der Extremismusforschung, der die einzelnen Strömungen zusammenbringt, Podiumsdiskussionen organisiert, Panels entwickelt usw. ist bisher nicht in Sicht. Allerdings: Der Versuch von Schernthaner, die Extremismusforschung auseinanderzudividieren, indem bestimmte Forschungszweige als ideologisch bezeichnet werden und behauptet wird, andere, vermeintlich staatsnähere Forschungsinstitute würden die IBÖ entlasten, ist intellektuell schlicht. Gelogen ist es auch.

 

Sämtliche im dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung nahestehenden Fachblatt Extremismus und Demokratie (E&D) erschienenen Artikel weisen dies als Tatsache aus. Die Identitäre Bewegung ist in Deutschland längst als demokratiefeindlich identifiziert und findet sich als Beobachtungsobjekt seit Jahren in den verschiedenen Verfassungsschutzberichten wieder. Auch in der polizeinahen Publikationslandschaft, zu erwähnen sind neben der Fachzeitschrift Kriminalistik auch Die Polizei oder das Jahrbuch Öffentliche Sicherheit, werden IBÖ und IBD längst als grenzüberschreitende Gefahr für die öffentliche Sicherheit wahrgenommen. Die österreichische Agitation auf deutschem Boden ist dabei nicht unentdeckt geblieben und Personen aus dem Dunstkreis M. Sellners werden in den Berichten genannt. Es handelt sich bei der IBÖ um eine Gruppierung, die eine Ideologie vertritt, die mit der Demokratie und ihren Werten unvereinbar ist. Die IBÖ ist Teil eines Sammelbeckens von Demokratiefeinden. Dies stellen die bekanntesten Extremismusforscher fest, die mit dem verfassungspolitischen Ansatz zur Identifikation extremistischen Potenzials in Gruppen oder Parteien arbeiten.

 

Neben dem Ansatz des DÖW (der sich nicht einfach "nur" als antifaschistisch kennzeichnen lässt, sondern in seiner Methodik historisch-vergleichend und ideologiekritisch vorgeht), der sich im Übrigen auch leicht mit dem Ansatz gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit der Universität Bielefeld in Verbindung setzen lässt, steht aber nicht einfach "nur" der verfassungspolitische Ansatz.

 

Auch mit dem von Manus Midlarsky vorgestellten Forschungsprogramm (Origins of Political Extremism. Mass Violence in the Twentieth Century and Beyond, Cambridge 2011) zur Extremismusforschung lässt sich die IBÖ als rechtsextremistische Gruppierung entlarven.

 

Ich mache es (sehr) kurz. Manus Midlarsky (für Herrn Schernthaner: ein oft zitierter Autor, von dem ich aufgrund der häufigen Zitation annehme, dass seine Arbeiten Anerkennung genießen) hat eine ganze Reihe an historischen Vorfällen untersucht, in denen es zu extremer Massengewalt gekommen ist. Einige Fälle sind eruptiv, andere von langer Hand geplant. Geschichtliche Entwicklungen, Sozialstrukturen und psychologische Faktoren kommen im historisch-genetischen Ansatz Midlarskys zusammen. Der zentrale Begriff der Midlarsky folgenden Analyse ist "Narrativ". Meinen Studenten erkläre ich immer, es handelt sich bei dieser Theorie um eine Art "Märchentheorie", denn die Märchen, die Extremisten erzählen, spielen eine große Rolle. In diesem Falle handelt es sich um das Märchen des großen Bevölkerungsaustausches. Diese Arten der Erzählung belegen die extremistische Qualität der IBÖ. In allen von ihm untersuchten Fällen fand Midlarsky etwas, das sich kurz als "flüchtiger Gewinn" kennzeichnen lässt. Das ist etwas, das Rechtsextremisten gern als historische Blütezeit kommunizieren (für die Autoren der Tagesstimme möchte ich es intellektuell einfach halten: die Zeit von Friede, Freude, Eierkuchen [Palatschinken], von der Sie den Menschen so gern erzählen). Wichtig ist: es spielt überhaupt keine Rolle, ob es diese paradiesische Zeit je wirklich gab. Das ist wie mit den Fake-News - es wird sprachlich einfach eine Fake-Erinnerung kreiert. Natürlich liegt diese Zeit so weit zurück, dass die rosa Brillen auch gut auf die Nasen der interessierten Zuhörerschaft gedrückt werden können. Im Fall der IBÖ ist das Märchen das von der glücklichen österreichischen Gesellschaft. Die Jungs waren groß, blond, muskulös und konnten den Berg in einem Zug hinaufhatschen. Sie hatten die besten Jobs (niemand war Müllmann oder Krankenpfleger) und wurden super gezahlt (alles verbeamtete Millionäre quasi). Die Mädchen waren auch blond und groß, fanden es aber in der Küche super und haben den besten Eierkuchen gebacken, den man sich so vorstellen kann. Die sind einfach zuhause geblieben und haben gar nicht gearbeitet. Den Berg sind die einfach nie hochgehatscht. Und das Beste: Die wollten auch gar nichts anderes! Manderl und Weiberl liebten einander und waren rollenmäßig klar abgegrenzt. Man wusste, wer man war. Dazu kam das absolut Unglaubliche: es gab gar keine Gewalt (der staatliche Sicherheitsapparat war anscheinend vollkommen umsonst da) zwischen den Geschlechtern (die Buben haben die Mädels nie verdroschen – und vergewaltigt auch nicht). Es gab auch sonst keine "richtige" Kriminalität. Alles in allem: Österreich war fantastisch. Österreich war nicht weniger als Candides El Dorado. Es gab Gemeinschaft. Man war zusammen. Man hielt zusammen.

 

Soweit zu dem Gewinn. Nun zu dessen Flüchtigkeit.

 

Extremisten tun nun so, als sei dieser Gewinn in Gefahr und schon fast verloren. Man muss dringend eine neue Zeitenwende einläuten. Sonst droht der absolute Abstieg. In den Schriften Julius Evolas wurde diese dringende Zeitenwende mit einem "neuen Morgen" beschrieben. Um den neuen Morgen zu erleben, wird das Feuer der Reinigung gebraucht. Die Zuhörerschaft, der die rosa Brille des Märchens auf die Nase gedrückt wurde, wird unsanft geweckt: SOFORT Schluss! Da ist dieser olle Schuldige (ja, es gibt einen Sündenbock!), der hat es zu verschulden, dass diese wunderbare Zeit zu einem Ende gekommen ist. Der Abstieg der gesamten Gesellschaft droht. Im Fall der IBÖ sind das "westliche Regierungen" (ein beliebter Schuldhansel ist momentan Angela Merkel, aber auch andere liberale Politiker wie Jean-Claude Juncker oder Alexander Van der Bellen können ins Visier geraten), die sich von der "Multikulti-Ideologie" dazu verleiten lassen, die Bevölkerung "auszutauschen" (wie stark der Liberalismus mit dem wirtschaftlichen Erfolg unserer Gesellschaften zusammenhängt, wird bei solchen Fragen im Übrigen ausgeblendet). Diese netten, blonden, berghatschenden Österreicher und eierkuchenbackenden Österreicherinnen sollen einfach ersetzt werden (Ich habe an dieser Stelle gelacht, liebe Autoren der Tagesstimme, aber das wollt Ihr sicher nicht wissen). Der Zweck des Austausches ist irgendwie nebulös, aber darum geht es nicht. Die Dringlichkeit der Feststellung "man schafft uns ab. Man ersetzt uns" ist laut IBÖ in jedem Fall gegeben. Das Märchen besagt also, dass es in jedem Falle ungerecht ist und dringend ist es auch. Und darauf muss das extremistische Märchen auch hinaus: dass sich vor aller Augen eine große Ungerechtigkeit abspielt. Eine rechtsextreme Erzählung basiert immer darauf, dass von der Allgemeingesellschaft akzeptierte, hohe ethische Werte in Gefahr geraten seien; auf diese Weise gewinnt die Erzählung an Attraktivität. Das Märchen soll die Zuhörer wütend machen. Es geht in diesen extremistischen Erzählungen um hohe ethische Werte, die missachtet werden, so wie die Rechtsextremisten hier eben von einem Austausch schwafeln. Sie müssen durch das Märchen Emotionen wie Demütigung und Schande transportieren. Das machen sie auch, indem sie das Märchen um eine Figur anreichern, die das Böse personifiziert. Im Fall der IBÖ sind das schlicht Liberale. Muslime. Schwule. Feministen. Gendersensitive. Andersdenkende. Schlicht: Es geht darum, durch WEN diese netten ÖsterreicherInnen ersetzt werden sollen. Die IBÖ tut so, als sollten diese rechtschaffenen ÖsterreicherInnen, die nie etwas verbrochen haben, durch Muslime ersetzt werden, die, so die Erzählung der IBÖ, kriminell sind, Frauen verachten und ihnen Gewalt antun, die Sozialkassen ausnehmen usw. Für den Ansatz nach Midlarsky ist wichtig, dass die Feindsetzung, also die Benennung des Sündenbocks, relativ flexibel ist.

 

Diese Erzählung soll zu Wut führen. Sie soll die Menschen, denen die rosa Brille gerade entrissen worden ist, wütend machen. Sie sollen mit den Füßen aufstampfen und bestmöglich meinen, sich "wehren" zu dürfen. Das Märchen zeigt auf, so Midlarsky, dass man quasi gezwungen ist, sich aufzulehnen. Denn diese Märchenerzählungen haben lediglich einen Zweck: sie sollen Gewalt legitimieren. Sie sollen das Zurückschneiden von Menschen- und Bürgerrechten legitimieren. Zu diesem Zweck wird von der IBÖ immer wieder versucht, die Polizei zu instrumentalisieren. Dies ist im Übrigen ein typisches Verhalten rechtsextremer Gruppierungen. Es ist eben das staatliche Organ, dem die Anwendung physischer Gewalt vorbehalten ist. Die Gefühle von Scham und Schande, das Gefühl, dringend hohe ethische Werte zu verteidigen (von denen die IBÖ behauptet, sie seien in Gefahr) führen jedenfalls in gewalttätige Konflikte. Sie führen in den politischen Extremismus, der extreme Massengewalt als politische Lösung porträtiert.

 

Die hier angedeutete Analyse ist sicherlich an dieser Stelle sehr grob dargestellt (den tatsächlich an wissenschaftlichen Ergebnissen interessierten Leser möchte ich für Kürze und flapsige Sprache um Verzeihung bitten). Es ging mir allein darum zu zeigen, dass nicht allein der Ansatz des DÖW zu dem Klassifikationsergebnis "rechtsextrem" kommt.

 

Ersichtlich wird, dass der Extremismusbegriff des DÖW, aber auch der Extremismusbegriff des verfassungspolitischen Ansatzes und des historisch-genetischen Ansatzes dazu herangezogen werden können, die IBÖ regelgeleitet und nach methodischen Maßgaben der Politologie als extremistisch zu klassifizieren. Gerne können Sie auch den von mir vorgelegten Extremismusbegriff prüfen, denn auch nach Maßgabe der von mir vorgelegten Konsensdefinition kommt man nicht umhin, die IBÖ als rechtsextrem zu klassifizieren. Deshalb möchte ich den Autoren, die einzig zum Ziel haben, die rechtsextreme Filterblase im Netz zu füttern, gerne raten, mich oder Herrn Mareš oder unsere gemeinsame Arbeit nicht mehr als Feigenblatt zu nutzen. Auch für eine Spaltung der Extremismusforschung stehen wir nicht zur Verfügung. Die Extremismusforschung, die an Ansätzen zur Erfassung menschenfeindlichen Ideologiepotenzials einer Gruppierung nicht arm ist, lässt sich nicht auseinanderdividieren. Selbstverständlich stehen wir hinter dem DÖW. Das DÖW liefert ein intellektuell anspruchsvolles Konzept zur Beobachtung und Klassifikation des Extremismus. Daneben existiert eine Vielzahl an Konzeptionen, die es ebenfalls wert sind, besprochen zu werden. Dies taten Miroslav Mareš und ich im Rahmen eines Lehrbuchs. Eine eigene Konzeption enthält dieses Lehrbuch aber nicht.

 

 

Anmerkung

 

1) Siehe dazu auch den Reader des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit e. V. (IDA) Was tun, wenn ...? Zivilcourage gegen rechts (Berlin 2000) sowie die von der FIPU - Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (Wien) herausgegebene Publikation Rechtsextremismus. Entwicklungen und Analysen - Band 1 (Wien 2014).

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