Für mehr als drei Jahrzehnte verkörperte Prof. Rudolf Sarközi die Volksgruppe der Roma in Österreich. PolitikerInnen, JournalistInnen und VertreterInnen öffentlicher Stellen im In- und Ausland kannten ihn als kompetenten, wortgewandten und gleichzeitig sachbezogenen Minderheitenvertreter und Verhandlungspartner: klar und beherzt in der Sache, aber pragmatisch in der konkreten Umsetzung. - Ein Nachruf von Gerhard Baumgartner
Im Zuge der parlamentarischen Verhandlungen um die offizielle Anerkennung der Roma als sechste österreichische Volksgruppe im Jahre 1993 wurde Sarközi einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Durch seine zahlreichen Fernsehauftritte - vor allem rund um die Briefbombenserie und das Bombenattentat auf die Roma-Siedlung in Oberwart im Jahre 1995 - galt er den Österreicherinnen und Österreichern als Gesicht und Stimme dieser lange verfolgten und diskriminierten Minderheit.
Rudolf Sarközy bei der Festversammlung des DÖW
am 8. April 2015
Foto: Winfried R. Garscha
Rudolf Sarközi war der erste Vertreter seiner Volksgruppe, der in Österreich in ein politisches Amt gewählt wurde. Zwischen 2001 und 2010 war er Bezirksrat in Wien-Döbling, wo er seit Jahrzehnten wohnte.
Vom Rand in die Mitte, so der programmatische Titel seines 2011 erschienenen Buches, umreißt nicht nur das politische Programm Rudolf Sarközis, sondern auch dessen persönlichen Lebensweg. Seit den 1980er-Jahren engagierte er sich für die Anerkennung der österreichischen Roma als Volksgruppe, für die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen noch lebender Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Roma und Sinti, für die Verbesserung der schulischen und universitären Ausbildungsmöglichkeiten der Kinder und vor allem für den Abbau von rassistischen Vorurteilen.
Die historische Aufarbeitung des Genozids an den europäischen Roma und Sinti war Rudolf Sarközi zeit seines Lebens ein besonderes Anliegen. Zahlreiche Mitglieder seiner Familie, darunter seine burgenländischen Großeltern, wurden in Vernichtungslagern ermordet. Seine Eltern überlebten die Konzentrationslager, Rudolf Sarközi selbst wurde im Herbst 1944 im Lager Lackenbach im Burgenland geboren, dem größten sogenannten "Zigeunerlager" auf dem Territorium des "Dritten Reiches". Gemeinsam mit anderen Angehörigen seiner Volksgruppe konnte er 1998 die Errichtung des ersten Mahnmals für Roma- und Sinti-Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes im KZ Mauthausen durchsetzen, jährlich organisierte er Gedenkfahrten zur internationalen Roma-Gedenkfeier im KZ Auschwitz-Birkenau und koordinierte die Gedenkfeierlichkeiten am Ort des ehemaligen "Zigeunerlagers" Lackenbach im Burgenland. Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass im Rahmen der Österreichischen Historikerkommission mit der namentlichen Erfassung der österreichischen Holocaust-Opfer unter den Roma und Sinti begonnen wurde, einem europaweit einzigartigen Vorzeigeprojekt.
Seine politische und berufliche Karriere wurde Rudolf Sarközi keineswegs in die Wiege gelegt, ganz im Gegenteil. Nach der Befreiung aus dem Lager Lackenbach kehrte er mit seiner Mutter in seine burgenländische Heimatgemeinde Unterschützen im Bezirk Oberwart zurück. Da er keine Lehrstelle finden konnte, arbeitete er als Hilfsarbeiter und als Monteurgehilfe bei einem Installationsunternehmen. Nach der Heirat mit seiner Frau Helga und der Geburt ihres Sohnes Andreas zog die Familie nach Wien, wo Rudolf Sarközi zuerst als Blitzschutzmonteur arbeitete und schließlich als Kraftwagenfahrer bei der MA 48 der Gemeinde Wien Beschäftigung fand. Gleichzeitig begann er, sich in der SPÖ zu engagieren, und fungierte lange Jahre als Kassier seiner Parteisektion. Rudolf Sarközi war einer der wenigen Vertreter der Volksgruppe der Roma - wenn nicht gar der Einzige -, der schon früh konkrete politische Erfahrungen sammelte.
Diese politischen Kenntnisse sollten bei seinem späteren Engagement von großem Nutzen sein. Rudolf Sarközi war Gründungs- und Vorstandsmitglied des ersten österreichischen Romavereins in Oberwart, Gründer und langjähriger Obmann des Kulturvereins österreichischer Roma, Kuratoriumsmitglied des österreichischen Nationalfonds, Vorstandsmitglied zahlreicher gemeinnütziger Organisationen - darunter viele aktive Jahre lang auch des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes -, über zwei Jahrzehnte Vorsitzender des Volksgruppenbeirates österreichischer Roma im Bundeskanzleramt. Für seine vielfältigen Verdienste wurde er mehrfach ausgezeichnet. Dem Träger zahlreicher hoher Auszeichnungen der Bundesländer und der Stadt Wien wurde 2002 außerdem der Berufstitel Professor zuerkannt. 2010 wurde Rudolf Sarközi schließlich das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Internationale Anerkennung fand seine Arbeit durch die Verleihung des europäischen Menschenrechtspreises Solidar Silver Rose Award im Europäischen Parlament in Brüssel 2001.
Rudolf Sarközi war der rechte Mann zur rechten Zeit am rechten Ort. Innerhalb weniger Jahre wurde in den 1990ern aus dem einstigen verdienten Fahrer eines Müllwagens der Wiener MA 48 eine vielbeachtete und geschätzte Figur des öffentlichen Lebens, ein Vertrauter des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky, des späteren Bundespräsidenten Heinz Fischer, der Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und ihres Vorgängers Andreas Khol, des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl, des Wiener Kardinals Franz König, aber auch von Persönlichkeiten wie Frank Elsner oder Thomas Gottschalk. Wie kein Zweiter verkörperte Rudolf Sarközi durch seine politische Karriere sowie durch seinen persönlichen Lebensweg die - freilich nicht immer friktionsfreie, aber letztendlich doch weitgehend gelungene - Integration der Roma und Sinti in die österreichische Gesellschaft. Im Gegensatz zu unseren östlichen Nachbarländern kennt Österreich heute kein sogenanntes "Romaproblem". An diesem Erfolg war Rudolf Sarközi maßgeblich beteiligt.
Rudolf Sarközi verstarb am 12. März 2016 nach langer schwerer Krankheit in Wien. Nicht nur die Volksgruppe der Roma und die demokratische Öffentlichkeit, sondern auch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes verliert mit ihm einen engagierten Verfechter von demokratischen Prinzipien, Minderheiten- und Menschenrechten.