Prof. Dr. Jonny Moser, Historiker, Zeitzeuge, Mitbegründer des DÖW und seit 1964 Mitglied des DÖW-Vorstands, starb am 23. Juli 2011 im 86. Lebensjahr.
Jonny Moser wurde am 10. Dezember 1925 in Parndorf (Burgenland) geboren, wo seine Eltern eine Gemischtwarenhandlung betrieben. Als im April 1938 die Nationalsozialisten die jüdische Bevölkerung aus Parndorf nach Ungarn abschoben, begann auch die rund siebenjährige Flucht des damals 13-jährigen Jonny Moser mit seiner Familie - zunächst nach Wien, später nach Budapest. Nach der überraschenden Entlassung aus einem Internierungslager im Sommer 1944 lernte Jonny Moser den schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg kennen. Letzterer konnte ab August 1944 Tausende Juden und Jüdinnen - sowohl ungarische als auch nach Ungarn geflohene wie Jonny Moser und seine Familie - vor Erschießung und Deportation retten, indem er ihnen schwedische Schutzpässe ausstellte bzw. mehr als 15.000 Personen in 31 "Schutzhäusern" unterbrachte und verpflegte. Als Mitarbeiter Wallenbergs überlebte Jonny Moser die Shoah in Ungarn.
Schwedischer Legitimationsausweis von Jonny Moser, der als Mitarbeiter des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg die Shoah in Ungarn überlebte.
Nach Kriegsende kehrte die Familie nach Österreich zurück. Jonny Moser begann das Studium der Geschichte an der Universität Wien, seine Dissertation widmete er dem damals noch tabuisierten Thema Antisemitismus in Österreich. 1966 legte er im Rahmen der in Zusammenarbeit mit dem DÖW erschienenen Reihe Monographien zur Zeitgeschichte eine erste österreichische Arbeit zur Judenverfolgung in Österreich vor, in der er aufgrund statistischer Berechnungen erstmals die Zahl von mehr als 65.000 österreichischen Holocaustopfern nannte, die in beeindruckender Weise durch das Projekt Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer empirisch bestätigt werden konnte. Nach zahlreichen weiteren Publikationen zur NS-Judenverfolgung veröffentlichte er 2006 seine Erinnerungen unter dem Titel Wallenbergs Laufbursche. Jugenderinnerungen 1938-1945.
Jonny Moser (1925 - 2011)
Von 1964 bis 1996 war Jonny Moser Bezirksrat der SPÖ im 1. Wiener Gemeindebezirk. Bis zuletzt war er im Vorstand und Stiftungsrat des DÖW und im Bundesvorstand der Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen vertreten. Wenige Tage vor seinem Tod wurde der vielfach Ausgezeichnete für seine Verdienste um die Republik Österreich mit dem Bundes-Ehrenzeichen geehrt.
In seinen Erinnerungen schildert Jonny Moser die Abschiebung der jüdischen Familien aus Parndorf am 21. April 1938 über die ungarische Grenze und die darauf folgende tagelange Odyssee:
"Endstation der Fahrt war Mörbisch am See. Von Grenzpolizisten und den beiden SS-Leuten wurden wir mit dem Zuruf 'Gemma, gemma, schneller!' aus dem Bus geholt und zur ungarischen Grenze gebracht. Sie zeigten uns die Richtung, in die wir gehen sollten, um nach Sopron (Ödenburg) zu gelangen. Mit einem lachenden 'Auf Nimmerwiedersehen!' jagten sie uns davon. [...]
Als wir, eine Gruppe von vierzehn Personen, mit Rucksack bepackt und Taschen tragend, am frühen Morgen die idyllische Kleinstadt Sopron betraten, erregten wir allgemein Aufsehen. Sehr bald erspähte uns auch ein Polizist, der uns anhielt und nach den ersten Fragen sogleich erkannte, dass wir illegal über die Grenze gekommen waren. [...] Nachdem unsere Aussagen protokolliert worden waren, steckte man uns in den Gemeindearrest [...]
Gegen zwei Uhr nachmittags wurden wir von zwei martialisch aussehenden Gendarmen (csendör) abgeholt. [...] Die beiden Gendarmen brachten uns per Autobus nach Köhida (Steinabrückl), wo sie uns im Hof des dortigen Zuchthauses für Schwerstverbrecher wie Ladegut vorerst abstellten. [...]
Als die Dämmerung hereinbrach, holten sie uns ab und trieben uns über die Grenze auf deutsches Gebiet zurück. Des Weges unkundig gingen wir im Gänsemarsch durch den Wald. Es dauerte nicht lange, bis uns eine deutsche Grenzpatrouille aufstöberte. Sie hatte uns durch das Unterholz brechen gehört. Sie trieb uns sogleich auf ungarisches Territorium zurück. Nach einiger Zeit verloren wir jede Orientierung. Wir hielten an und beschlossen, auf einer Lichtung den Tagesanbruch abzuwarten. [...]
Als wir bei Sonnenaufgang aufbrachen, fielen wir schon kurz darauf einer ungarischen Zöllnergruppe in die Hände. [...] Bei Anbruch der Dunkelheit aber brachten uns Gendarmen wieder zur deutschen Grenze. Dieses Mal wurden wir bei Fertörákos (Groisbach) abgeschoben. [...] Bei unserem Herumirren im Wald hörten wir plötzlich Geräusche vor uns und vernahmen dann auch Stimmen. Es waren Deutsche auf Patrouillengang. Wir konnten noch rechtzeitig anhalten und verhielten uns still, sodass sie uns nicht bemerkten. Als sie vorbei waren, beschlossen wir, neuerlich im Wald zu übernachten. Im Morgengrauen zogen wir weiter und landeten nach einem längeren Marsch wieder beim Gasthaus 'Hubertus'. Wir waren die ganze Zeit im Kreis herumgeirrt. [...]
Als wir von den Ungarn am Samstagabend wieder bei Groisbach abgeschoben wurden, liefen wir nach einer Weile einer deutschen Zollpatrouille in die Arme, die uns ohne Gnade sogleich zurücktrieb. In der Dunkelheit weiter zu marschieren, schien uns wegen des in der Nähe befindlichen großen Steinbruchs viel zu riskant. Also verbrachten wir die Nacht wieder auf einer Lichtung. [...]
Am Sonntag, dem 24. April 1938, es war der vierte Tag unserer Odyssee, brachten uns die Ungarn schon mittags mit mehreren Polizeiautos zum deutschen Grenzposten in Mörbisch. Im Niemandsland zwischen den beiden Staatsgrenzen hieß uns ein ungarischer Polizeioffizier warten, während er sich zum deutschen Kontrollpunkt begab. Von weitem konnten wir beobachten, wie der Ungar heftig gestikulierend mit den deutschen Zöllnern stritt und dabei immer wieder auf uns deutete. Anscheinend verlangte er von den Deutschen, unsere Vertreibung über die Grenze aufzuheben und uns zurückzunehmen. Dieses Palaver dauerte mehr als drei Stunden. Es begann schon zu dämmern, als wir bemerkten, dass die Deutschen, die mehrere Telefonate geführt hatten, zurücksteckten, sich ruhiger verhielten. Sie mussten den Auftrag erhalten haben, uns zurückzunehmen."
(Aus: Jonny Moser, Wallenbergs Laufbursche, Jugenderinnerungen 1938-1945, S. 21-25.)