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Ludwig Steiner: Ich war von vornherein abgestempelt

Ludwig Steiner, geb. 1922 in Innsbruck, Vater christlichsozialer Gemeinderat in Innsbruck. Nach dem "Anschluss" 1938 illegale Tätigkeit bei der Katholischen Jugend, 1941 Einrückung zur Deutschen Wehrmacht, 1943 Verwundung, Verlegung zur Ersatztruppe nach Innsbruck, Widerstandsaktivitäten im Rahmen der Wehrmacht, Mitarbeit in der O5, 1945 an der Befreiung Innsbrucks noch vor dem Eintreffen der Amerikaner beteiligt.

Nach 1945 Abschluss des Wirtschaftsstudiums. 1948 Eintritt in das Außenministerium, u. a. 1952-1953 Sekretär des Außenministers, 1953-1958 Sekretär des Bundeskanzlers, 1961-1964 Staatssekretär im Außenministerium, 1964-1972 Österreichischer Botschafter in Griechenland, ab 1972 Leiter der Politischen Sektion des Außenministeriums, 1979-1990 Nationalratsabgeordneter (ÖVP), Vorsitzender von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. 2000-2005 Leitung des Österreichischen Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit (Versöhnungsfonds) zur Entschädigung ehemaliger NS-ZwangsarbeiterInnen. Ab 1993 im Vorstand des DÖW, 1994-2011 als Vizepräsident, ab 2011 Ehrenmitglied des DÖW.

Verstorben 2015.

 

 

Schon in der Zeit vor 1938 hat es bereits immer wieder Auseinandersetzungen bis hin zu Schlägereien mit offensichtlich pro-NS-Gruppen in Innsbruck gegeben, Konflikte in der Schule - der Handelsakademie in Innsbruck - und außerhalb der Schule. Daher war der Umsturz für mich persönlich ein wirklich tiefgreifendes Ereignis, weil ich gewusst habe, dass damit etwas Furchtbares auf uns, auch persönlich, zukommt.

 

Unsere Jugendgruppe [Ludwig Steiner war in einer katholischen Jugendgruppe bei den Jesuiten in Innsbruck unter der Leitung von Pater Dr. Schrott aktiv] war auch in den Umsturztagen bereit, auf die Straße zu gehen und zu kämpfen. Wir waren bitter enttäuscht, als der Aufruf der Bundesregierung zur Vermeidung von Kampfhandlungen im Radio zu hören war. Besonders geschockt hat mich die sofort einsetzende Menschenjagd, in unserem Hause wurde in der Umsturznacht der Präsident der Arbeiterkammer verhaftet und dabei geschlagen; beeindruckt hat mich auch das Herunterreißen der rot-weiß-roten Fahne von der Kaserne des Kommandos der 6. Gebirgsbrigade durch Bundespolizisten mit Hakenkreuzarmbinden unter Jubel vor einer johlenden Menge.

 

Was nun die "Wahlen" 1938 betrifft, so habe ich diese "Volksabstimmung" nicht in Innsbruck und nicht in Österreich erlebt, weil ich mit meinem Bruder und einem Freund während der Periode vom 8. bis 20. April 1938 mit dem Fahrrad nach Rom gefahren bin. Meine Eltern haben sicherlich mit "Nein" gestimmt und sie sind auch dann nach der Wahl - mit einer polizeilichen Vorladung - zum Ortsgruppenleiter von Mariahilf-St. Nikolaus in Innsbruck zitiert worden, der ihnen vorgeworfen hat, sie hätten mit "Nein" gestimmt. Das hat bei uns natürlich damals den Eindruck erweckt, es hätten die Nationalsozialisten eine Möglichkeit gehabt festzustellen, wie jemand gewählt hat. Wir haben auch vorher vermutet, dass die Wahl sicher nicht geheim sein wird, sondern irgendwie kontrolliert werden kann. Ich kann aber nicht sagen, wie das in der Praxis geschehen sein könnte. Sicherlich wurde bewusst eine Situation geschaffen, in der die von der Machtübernahme Geschockten jeden Trick und jede Hinterhältigkeit für möglich gehalten haben.

 

Sofort nach dem 20. April 1938, als die Schule wieder begonnen hat, war ich immer in einer Konfrontation mit den HJ-Leuten. Es hat sehr deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen in der Schule und in der Klasse gegeben - siegestrunkene, hysterische HJ-Leute und andererseits einige Anti-Nationalsozialisten. Dazu kommt noch eines: Ich habe damals in der Handelsakademie, in einer Parallelklasse, einen Mitschüler gehabt, der auch Steiner hieß und der vor dem März 1938 illegal war. Zu wiederholten Malen hat die österreichische Staatspolizei vor 1938 nach ihm gesucht. Durch die Verwechslung der Namen hat die ganze Schulleitung gewusst, dass ich nicht der Nationalsozialist bin, sondern der Anti-Nazi. Das hat sich natürlich nach dem März 1938 besonders ausgewirkt. Ich war von vornherein abgestempelt.

 

Bei einer Schulfeier - das muss im April/Mai 1938 gewesen sein - hat vor der ganzen Schule der Direktor Dr. Dollinger, der 1936 wegen Unregelmäßigkeiten entlassen worden war, gesagt, jetzt komme ein ganz neuer Geist in diese Handelsakademie - merkwürdigerweise hat er das als Liberalismus bezeichnet - und dass schwarze Schweine, wie etwa der Steiner einer sei, sich daran gewöhnen müssten, dass andere Zeiten angebrochen sind.

 

So blieb die Lage bis zur Matura. Einige Professoren ließen mich meine Lage besonders fühlen, andere wieder kamen mir auch freundlich entgegen. Für mich wurde es besonders schwierig, als ich einige Male von der Schule weg zur Gestapo geholt wurde.

 

 

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