Ludwig Steiner, geb. 1922 in Innsbruck, Vater christlichsozialer Gemeinderat in Innsbruck. Nach dem "Anschluss" 1938 illegale Tätigkeit bei der Katholischen Jugend, 1941 Einrückung zur Deutschen Wehrmacht, 1943 Verwundung, Verlegung zur Ersatztruppe nach Innsbruck, Widerstandsaktivitäten im Rahmen der Wehrmacht, Mitarbeit in der O5, 1945 an der Befreiung Innsbrucks noch vor dem Eintreffen der Amerikaner beteiligt.
Nach 1945 Abschluss des Wirtschaftsstudiums. 1948 Eintritt in das Außenministerium, u. a. 1952-1953 Sekretär des Außenministers, 1953-1958 Sekretär des Bundeskanzlers, 1961-1964 Staatssekretär im Außenministerium, 1964-1972 Österreichischer Botschafter in Griechenland, ab 1972 Leiter der Politischen Sektion des Außenministeriums, 1979-1990 Nationalratsabgeordneter (ÖVP), Vorsitzender von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. 2000-2005 Leitung des Österreichischen Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit (Versöhnungsfonds) zur Entschädigung ehemaliger NS-ZwangsarbeiterInnen. Ab 1993 im Vorstand des DÖW, 1994-2011 als Vizepräsident, ab 2011 Ehrenmitglied des DÖW.
Verstorben 2015.
Ein großes Problem für mich war die Frage, wie kann ich der HJ entkommen? Ich bin einer der wenigen, denen es gelungen ist, nicht von der HJ vereinnahmt zu werden. Wir haben gleich nach dem März 1938 mit einer Gruppe von Freunden aus der Katholischen Jugend, aber auch von Pfadfindern, eine Jugendbergwacht gegründet und sofort mit Aktivitäten begonnen. Wir haben eine ganz normale Sanitätsausbildung und auch Übungen und Rettungseinsätze gemacht. So entkamen wir der HJ.
Mit zunehmender Verschärfung der internationalen Situation, besonders nach 1939, wurde dann die vormilitärische Ausbildung für alle verpflichtend. Dazu ist man als Nicht-HJler durch einen polizeilichen Befehl an die Eltern vorgeladen worden, mit einer Strafdrohung an sie bei Nichtbefolgung. Die vormilitärische Ausbildung hat die HJ in Uniform durchgeführt, wir anderen waren in Zivil. Diese Ausbildung spielte sich für uns ohne Waffen ab, dazu waren nur die HJler "würdig". Es wurden sogenannte Geländeübungen abgehalten. Dabei hat man die Leute, die nicht bei der HJ waren, als Feinddarsteller benützt, und die HJ hat sozusagen die Angriffe auf diesen Feind gemacht. Der Sinn war natürlich, dass man diese Nicht-HJ-Leute ordentlich verhaut. Es hat sich aber gar nicht immer in diese Richtung entwickelt!
Schon im Jahre 1938 erfolgten immer wieder Störaktionen von seiten der HJ gegen katholische Veranstaltungen, Prozessionen usw. Besonders arg und gemein waren die Störungen von Maiandachten im Jahre 1938. Da gibt es einen besonders markanten Fall: Vor der Jesuitenkirche in Innsbruck war ein KdF-Omnibus aus dem sogenannten Altreich mit Absicht so vor das Kirchentor herangefahren, dass es von innen am Schluss der Maiandacht nicht zu öffnen war. Wir sind dann auf einem anderen Weg aus der Kirche heraus und haben diesen Omnibus trotz angezogener Bremsen mit "ho ruck!" brachial weggeschoben. Das hat einen Riesenwirbel ausgelöst, weil der Omnibus dabei nicht ohne Schaden blieb. [...]
Für mich ist die Situation in der Schule zunehmend schwieriger geworden, weil mein Vater im September 1939 verhaftet wurde. Er war einige Zeit, vielleicht zwei, drei Wochen, im Polizeigefängnis in Innsbruck und ist dann ins KZ Dachau gekommen. In dieser Zeit bin ich drei- oder viermal zur Gestapo geholt worden, wobei man immer wieder versucht hat, von mir Aussagen gegen meinen Vater zu bekommen, weil man offenkundig zuwenig anklagereifes Material hatte. Es wurde versucht zu beweisen, dass er Auslandssender gehört hätte, da man eine Verurteilung herbeiführen wollte. Zum Teil haben sich groteske Dinge abgespielt. Zum Beispiel lag eine Anzeige des Blockleiters, der auch schon mehrmals meinen Vater angezeigt hatte, bei der Gestapo gegen mich vor. In der Anzeige hieß es, ich hätte den Blockleiter angeschaut, als wollte ich ihn erschlagen. Darüber wurde ich stundenlang verhört. Da gab es auch Schläge, wenn das Verhör nicht wunschgemäß voranging. [...]
Ludwig Steiner rückte im Oktober 1941 zur Deutschen Wehrmacht ein und kam nach einer Verwundung 1943 zum Gebirgsjäger-Ersatzbataillon 136 nach Innsbruck, wo er bald Adjutant wurde.
Außerordentlich wichtig war, dass man viele auch maßgebende Leute kannte und einzuschätzen lernte. Nicht zu unterschätzen war, dass Truppen verfügbar waren. Weiters konnte man bei Versetzungen mit der Zeit, wenigstens in dringenden Fällen, einen gewissen Einfluss ausüben. Durch diese Position als Adjutant des Ersatzbataillons waren auch enge Beziehungen zur sogenannten Wehrersatzinspektion möglich, eine Dienststelle, die die Rekrutierung der für die Wehrmacht Einzuberufenden vorgenommen hat und die über die Personalakte aller Soldaten in ihrem Bereich verfügte. Das Wissen, wer in der Wehrersatzinspektion welche Fälle bearbeitet und dann Verbindung zu diesen Personen aufzunehmen hat, war in der Folge sehr wichtig. Wer in der Wehrersatzinspektion "außer Evidenz" kam, existierte für die Wehrmacht nicht mehr. Da Teile des Bataillons zu Hilfeleistungen bei Katastrophen und später bei Aufräumungsarbeiten nach Fliegerangriffen herangezogen wurden, waren auch gute Einsichtsmöglichkeiten in die Luftschutzorganisation und den technischen Notdienst gegeben.
Am Beginn meiner Tätigkeit als Adjutant war der Kommandeur ein Hauptmann Müller, ein ehemaliger längerdienender Unteroffizier des 100.000-Mann-Heeres der Reichswehr, ein Bayer und überzeugter Nationalsozialist. Nach drei Monaten ist er an die Front versetzt worden. Da kam bald einmal ein Fernschreiben des Heerespersonalamtes mit dem Versetzungsbefehl für einen neuen Bataillon-Kommandeur, einen Major, der aus Reith im Winkel - also aus der Berchtesgardner Gegend - stammte, einen SA-Obergruppenführer, Blutordensträger, Wehrwirtschaftsführer, Besitzer eines großen Sägewerkes; kurz ein Nationalsozialist der ersten Stunde.
Ich wollte einen Versuch machen, diese Versetzung zu verhindern. Ich habe mich an einen Bekannten unserer Familie, den damaligen Hauptmann Prof. Dr. [Martin] Busch beim Heerespersonalamt im OKH in Berlin, erinnert, ihn angerufen und ohne lange Einleitung gesagt: "Hast du gesehen, welchen Mann ihr hergeschickt habt? Einen SA-Obergruppenführer. Ist es zu verantworten, dass ein für die Kriegswirtschaft so wichtiger Mann wie dieser Wehrwirtschaftsführer in Innsbruck herumsitzt und sich nicht um seine wehrwirtschaftlichen Aufgaben kümmern kann? Wäre es nicht sinnvoller, dass er an dieser Front eingesetzt wird?" Prof. Busch hat sofort geschalten und gesagt: "Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Das muss man wirklich ändern." Ich habe binnen drei Stunden ein neues Fernschreiben erhalten mit der Mitteilung, dass der Major sofort aus der Wehrmacht entlassen wird und seine Wehrwirtschaftstätigkeit ausüben kann. Gleichzeitig hat mich Prof. Busch angerufen und mir gesagt: "Jetzt werden wir dir jemanden schicken, da wirst du sicherlich sehr zufrieden sein." Das war dann ein Ritterkreuzträger, Major Werner Heine, ein damals 27- bis 28-jähriger Rheinländer. Mit Major Heine konnte sehr rasch ein sehr freundschaftliches Verhältnis hergestellt werden. Man konnte mit ihm gleich, auch politisch, sehr offen reden. Es war klar, dass er sich vom Nationalsozialismus und vom Kriegsausgang keinerlei irrige Vorstellungen machte. Aus dieser Freundschaft heraus hat sich wirklich eine solide Basis einer politischen Zusammenarbeit ergeben. Das war besonders wichtig, weil viele Aktivitäten nur gemacht werden konnten, wenn man die Unterstützung oder zumindest das stillschweigende Einverständnis des Kommandeurs hatte.
Ende 1943 ging es in erster Linie darum zu versuchen, Leuten zu helfen, die mit dem Regime in Schwierigkeiten geraten sind - durch Verzögerungen von Versetzungen an die Front oder durch Versetzung voraussichtlich verlässlicher Personen an wichtige Stellen. Zum Beispiel im Bataillonsstab war dies ganz besonders die Position des Truppenarztes; der stellte den Tauglichkeitsgrad fest, von dem die Frontverwendung abhing.
Mit der Wehrersatzinspektion kam ich sehr bald durch einen Jugendfreund, Bruno Czermak [nicht ident mit dem späteren Präsidenten der Österreichischen Widerstandsbewegung], der dort als Unteroffizier arbeitete, in engen Kontakt, weiters mit dem Schriftsteller und Journalisten Fritz Würthle, der damals Unteroffizier war, und dann auch mit dem Zivilangestellten Dr. [Oswald] Peterlunger, dem späteren Generaldirektor für öffentliche Sicherheit. Peterlunger war wegen seiner Polizeitätigkeit vor 1938 wehrunwürdig und wurde doch als Zivilangestellter in der Wehrersatzinspektion beschäftigt.
Fritz Würthle war sich natürlich voll der Gefahren bewusst, trotzdem gab er über interne Vorgänge in der Dienststelle und über Personalakte Auskünfte, und schließlich konnten mit Würthle auch manche der Versetzungen beeinflusst werden.
Es war zum Beispiel für einen Bataillon-Adjutanten möglich, dass er die sogenannten "Karteimittel", d. h. die gesamten Personalunterlagen eines Soldaten, bei der Wehrersatzinspektion anfordern konnte. Wenn man nun diesen Soldaten zu einer anderen Einheit versetzt hat, hätten die Personalunterlagen mitgeschickt werden sollen. Nun bestand die Möglichkeit, allerdings in einer sehr gefahrvollen Art und Weise, etwa fiktiv, also nur papiermäßig, einen Soldaten an eine Einheit an der Front zu versetzen, die keine andere Bezeichnung oder Ortsangabe hatte als nur eine Feldpostnummer. Wenn man nun diese "Karteimittel" einfach vernichtete und der Wehrersatzinspektion eine angebliche Versetzung dieses Soldaten an eine gar nicht existierende Fronteinheit unter einer fiktiven Feldpostnummer meldete, dann war dieser Mann der Wehrmacht völlig abhanden gekommen. [...]
Eine andere Möglichkeit war, Versetzungen an die Front durch den jeweiligen Truppenarzt zu beeinflussen. Diese Möglichkeit eröffnete sich für uns durch die Zuteilung des Arztes Dr. Emil Eckl als Bataillon-Arzt des Gebirgsersatz Bataillons 136. Dr. Emil Eckl, ein ausgezeichneter Arzt mit großem Verantwortungsbewusstsein, war ein alter Freund von mir und ein immer überaus hilfsbereiter und vollkommen verlässlicher Mitkämpfer, wenn es darum ging, Leute von Frontversetzungen zurückzustellen oder aus der Wehrmacht zu entlassen.
Zum Aufbau einer politisch aktiven Gruppe war es auch notwendig, die Möglichkeiten für Reisen zu schaffen. Für Wehrmachtangehörige war dies damals, auch für kurze Reisen außerhalb des Standortes, nur mit Reisedokumenten in Form eines Marschbefehles möglich. War dieser Marschbefehl aber einmal vorhanden, kam man durch alle Kontrollen. Nun hat es der Zufall ergeben, dass nach 1944, als das Ersatzheer von Himmler übernommen wurde, in die Kaserne, wo das Bataillon in Innsbruck untergebracht war, ein SS-Nachwuchsoffizier für Jugendbetreuung und Anwerbung einzog. Für uns war das zuerst einmal ein Schock, dass sich ein Hauptsturmführer und ein Oberscharführer in der Kaserne einnisteten. Es hat sich bald herausgestellt, dass diese beiden Schwerverwundeten eher dem Alkohol zusprachen als anderen Aktivitäten. An einem feuchtfröhlichen Abend, als die beiden schon voll Weines waren, haben wir dann in ihrem Büro ein ganzes Paket von Marschbefehlsformularen, blanko vom SS-Hauptamt in Berlin unterschrieben, gefunden. Einen Teil des Pakets haben Major Heine und ich gleich einmal mitgenommen. So konnten wir dann unsere Leute mit Reisepapieren ausrüsten, wenn dies notwendig war, ohne unsere eigene Dienststelle in Schwierigkeiten zu bringen.
Ein weiteres Problem war es, wie internationale Kontakte geknüpft werden konnten. Wir sahen den Sinn einer Widerstandstätigkeit auch darin, durch Aktionen die Bombardierung Innsbrucks und Tirols militärisch überflüssig zu machen. Wir waren uns bewusst, dass Tirol ein besonders sensibler Punkt des Nachschubweges Nord-Süd und Ost-West war. In diesem Zusammenhang waren wir sehr interessiert, Wege für Kontakte zu den Amerikanern oder zu den Briten zu finden. Ich glaube, es war Mitte 1944, dass die ersten Kontakte mit den beiden Brüdern [Otto und Fritz] Molden zustande kamen. Damit begann die Zusammenarbeit mit O5. Wir hatten den Eindruck, dass die Brüder Molden über tragfähige Kontakte zur amerikanischen Botschaft in Bern verfügten und dass sie Möglichkeiten gefunden hatten, in die Schweiz ein- und auszureisen. Damit war für mich erstmals die Möglichkeit gegeben zu erfahren, was sich alliierte Stellen von einer Widerstandstätigkeit erwarteten.
Wichtig waren die Kontakte zu den Angehörigen der sogenannten Studentenkompanien in Innsbruck, in denen für das Studium freigestellte Offiziere und Soldaten zusammengefasst waren, z. B. Mediziner, Techniker, Chemiker usw. Verbindungen konnten da über den einen oder anderen Universitätsprofessor oder in Zusammenarbeit mit illegal tätigen katholischen Studentenverbindungen mit großer Verlässlichkeit hergestellt werden. Allerdings waren solche Studenten meist nur für ein Semester zum Studium abkommandiert. Gegen Oktober/November 1944 hatten wir im Bataillonsstab, bei den Kompanie-Chefs und beim Stammpersonal weitgehend verlässliche Leute, die noch nach Möglichkeit aus österreichischem Gebiet stammten.
Um Ausweichmöglichkeiten außerhalb Innsbrucks für Leute zu haben, die in der Stadt schon zu bekannt waren, haben wir auf der Adolf-Pichler-Hütte und auf der Kemater Alm in den Kalkkögeln einen sogenannten Stützpunkt für Hochgebirgsausbildung eingerichtet. Diese Angelegenheit wurde als Geheimsache im Bataillon geführt ohne Zustimmung einer vorgesetzten Stelle. Dieser Stützpunkt leistete besonders bei den Aktionen im April 1945 gute Dienste.
Ein großer Rückschlag für uns kam im November 1944. Wir haben damals ganz plötzlich vom Generalkommando XVIII in Salzburg, dem das Bataillon unterstand, den Befehl zur Versetzung des Bataillons und aller 12 Kompanien nach Wolfsberg in Kärnten bekommen. Nur der Stützpunkt auf der Adolf-Pichler-Hütte/Kemater Alm blieb.
Da ich aufgrund meiner Verwundung nur arbeitsverwendungsfähig war, konnte ich nach den Vorschriften einen Studienurlaub bekommen. So bin ich Ende Jänner, Anfang Februar 1945 auf Studienurlaub nach Innsbruck zurückgekommen, ebenso der damalige Truppenarzt des Bataillons, Dr. Emil Eckl. Wir haben dann erreicht, dass durch ein medizinisches Gutachten auch Major Heine aus Gesundheitsgründen zur Behandlung an die Klinik nach Innsbruck versetzt wurde. Zu dritt begannen wir wieder Gesinnungsfreunde zurückzuholen und neue Kontakte zu suchen.
In dieser Zeit Anfang Februar 1945 kam es zum ersten Kontakt mit Dr. Karl Gruber. Ein alter Freund meines Vaters, Dr. Nino von Hradetzky, hat mir gesagt, da sei ein Tiroler nach Innsbruck zurückgekommen, der aus politischen Gründen Zwangsaufenthalt in Berlin habe, ein Dr. Brandt, der habe mit Widerstandsgruppen in der Reichshauptstadt enge Kontakte. Er habe auch enge Kontakte zu den Alliierten und er wolle im Tiroler Widerstand mitarbeiten. Ich habe dann diesen Dr. Brandt als angeblichen Leiter eines Telefunken-Büros im damals schon schwer zerbombten Hotel "München" getroffen, in einem kleinen Raum, den die Bomben nicht zerstört hatten. Bald stellte sich heraus, dass ich die Familie "Dr. Brandts" kannte, und zwar als Familie Gruber. Das erste Gespräch war gleich von Anfang an beeindruckend. Dr. Gruber sagte: "Ja, schau', wir sind jetzt in einer Situation, wo sich kein Mensch mehr vor der Gestapo fürchten muss. Die Gestapo muss sich vor uns fürchten." Das kann man heute nicht mehr so empfinden, aber das war damals ein Umkehrschluss, der verblüffend und sehr beeindruckend war. Im Gespräch mit Dr. Gruber wurde mir klar, dass in Innsbruck versucht wird, ein politisches Komitee zu bilden, das die Widerstandsaktivitäten zusammenfassen sollte und das dann als Exekutivausschuss eine Regierung nach dem Zusammenbruch des Reiches in Tirol bilden sollte. Damit gab es für uns Junge, in der Politikstrategie Unerfahrene, eine klarere Vorstellung, wie es nach dem Nationalsozialismus politisch weitergehen sollte.
Natürlich war für uns alle die Frage, was "nachher" über die Wiedererrichtung Österreichs hinaus geschehen sollte, sehr wesentlich. [...] Mit meinen Freunden haben wir damals immer die Vorstellung gehabt, dass nationalsozialistische Verbrechen nach dem normalen Strafgesetzbuch verfolgt werden sollten und Menschen nur wegen ihrer Gesinnung allein nicht bestraft werden sollten, sondern nur wegen konkret begangener Verbrechen. Natürlich hat sich dann bald herausgestellt, dass das hergebrachte Strafgesetz nicht ausreichend sein konnte. Weiters war es unsere Meinung, dass keine blutigen Rachefeldzüge stattfinden dürften. Andererseits war unsere klare Forderung, dass Nationalsozialisten aus der öffentlichen Verwaltung entfernt werden mussten, vor allem die Verräter an Österreich vor 1938.
An diese Grundsatzüberlegungen habe ich mich auch selbst - wenn auch nur mühsam - in einer für mich sehr emotionellen Situation gehalten. Es war spät in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai [1945] nach einem für mich gefährlichen, aufregenden Tag, als ich plötzlich in einer menschenleeren, dunklen Straße allein jenem Mann gegenüberstand, der meinen Vater und mich bei der Gestapo und meine Mutter beim Ortsgruppenleiter laufend denunziert hat. Als ich ihn gestellt und ihm die entsicherte Maschinenpistole angesetzt hatte, war ich versucht, den Abzug durchzuziehen. Schließlich tat ich es dann doch nicht! Noch Monate nachher bedauerte ich, es nicht getan zu haben, seit vielen Jahrzehnten bin ich froh, nicht Selbstjustiz geübt zu haben - auch im Wissen, dass die Nachkriegsjustiz diesen Herrn Volderauer schon etwas billig davonkommen ließ! [...]
Wir haben den Februar/März 1945 dazu genützt, den durch die Verlegung des Gebirgsjäger-Bataillons 136 verursachten Zerfall von Gruppen durch neue Leute wettzumachen. Zuzug kam von den Studentenkompanien und von Verwundeten in den Lazaretten. In diese Zeit fallen wieder Treffen mit Otto und Fritz Molden, die Kontakte mit den Amerikanern hergestellt haben. Dabei ging es um konkrete Pläne für Aktionen beim Näherrücken der Süd- wie der Nordfront auf Tirol zu. [...]
Anfang April wurden alle Wehrmachtsangehörigen ohne Rücksicht auf Tauglichkeitsgrad zu Fronteinheiten einberufen - das traf auch Studenten und auch mich selbst. Nur mit ganz gewagten Tricks und ständigem Unterkunftswechsel konnte man verhindern, dass wir Leute verloren. [...]
Bei den Kontakten mit den Brüdern Molden stellte sich heraus, dass von amerikanischer Seite auch allenfalls eine Luftlandung im Raum Tirol überlegt wurde, um den Zusammenbruch der deutschen Italien-Front zu beschleunigen. Major Werner Heine, Oberleutnant Josef Stephan Moser und ich, wir arbeiteten einen Luftlandeplan für die Alliierten im Inntal und als Reserveraum Kitzbühel-St. Johann aus, den wir am 16. April fertigstellten und noch in derselben Nacht Otto Molden zur Weiterleitung übergaben. Der Plan sollte über die Schweiz dem Planungsstab des alliierten Hauptquartiers Mittelmeer in Caserta übermittelt werden. Der Plan, der in allen Einzelheiten ausgearbeitet war, umfasste mehrere Absprungplätze für zwei Luftlandedivisionen. Die Ankunft Otto Moldens in der Schweiz und die Weiterleitung des Planes nach Caserta teilte ein Funkspruch von BBC London mit, der lautete: "Freund Alfred gut angekommen, arbeitet für Euch." Der Vormarsch der 7. US Armee durch Bayern ging dann allerdings so rasch vor sich und die amerikanischen Gespräche für eine Kapitulation der deutschen Italien Armee machten solche Fortschritte, dass die Amerikaner diesen Plan zurückstellten.
Zum Luftlandeplan gehörte auch ein Einsatzplan unserer Widerstandsgruppen zur Ausschaltung der Kommando-Strukturen in Tirol. Bei der Erarbeitung dieses Planes einer Luftlandeoperation gab es einen ständigen Kontakt mit Dr. Gruber, der sich immer klarer als politischer Koordinator und anerkannter Chef der Widerstandsaktivitäten herausstellte. Seine mutige Entschlossenheit und seine klaren, realistischen Vorstellungen von dem, was getan werden musste und konnte, brachten ihm diese führende Rolle. Unsere militärische Gruppe, die unter eindeutiger Führung von Major Werner Heine stand, hatte ständigen Kontakt mit seinem [Grubers] engsten Mitarbeiter Fritz Würthle. So nahmen am Beginn der zweiten Aprilhälfte die Pläne militärischer Aktionen praktisch durchführbare Formen an. [...]
Der mit mir befreundete Stabsarzt Dr. Willi Stricker, ein Hals-Nasen-Ohren-Spezialist, schlug mir in dieser Situation [Steiner war u. a. befohlen worden, zu seinem Bataillon in Kärnten einzurücken] vor, mich in die Universitätsklinik aufzunehmen, und machte gleich am nächsten Tag, dem 20. April 1945, eine Scheinoperation der Nasenscheidewand. Kaum begann die Operation, war Fliegeralarm und schon war Flakfeuer zu hören. Alle mussten in einen Luftschutzstollen. Als der schwere Fliegerangriff zu Ende war, stand der Teil der Klinik nicht mehr, in dem vorher der Operationssaal war. Damit waren für mich Operation und Klinikaufenthalt zu Ende, und ich musste andere Unterschlupfmöglichkeiten suchen.
Ebenso rasch wie die Gestapo-Aktivitäten immer groteskere, aber auch gefährlichere Formen annahmen, so waren auch die Zerfallserscheinungen des Systems in diesen Wochen von Tag zu Tag immer eindrucksvoller sichtbar. Eine wichtige Aufgabe für uns war es, die aus Italien zurückflutenden Truppenteile und Dienststellen zu einem möglichst raschen Durchzug durch Tirol zu bringen und Wehrmachtsangehörigen, die sich von ihren Truppenteilen entfernt hatten oder die aus der Wehrmacht entlassen werden wollten, möglichst problemlos entsprechende Papiere zur Verfügung zu stellen. Freunde im Stab des Standortältesten befassten sich mit diesem gefährlichen Vorgang. Major Heine und ich sorgten für entsprechende Formulare und Stempel, ohne die es auch in einer solchen Situation ganz einfach nicht ging. Von Tag zu Tag mehrten sich die Fälle, in denen sich ehemalige Nationalsozialisten der verschiedenen Funktionen bemühten, Kontakte mit uns aufzunehmen, um bei den bevorstehenden Ereignissen nur ja nicht auf der falschen Seite zu stehen. Dies führte oft zu sehr grotesken Situationen und zum Teil wurde man geradezu mit den geheimsten Nachrichten überhäuft. Damit wollten sich die Leute offenkundig ein Laisser-passer für bessere Zeiten verschaffen. [...]
Die eigentlichen Aktivitäten zur Übernahme der Macht in Innsbruck sind dann am 30. April und 1. Mai angelaufen. Es trat der militärische Einsatzstab unter der politischen Führung Dr. Grubers und unter der militärischen Leitung Major Heines in Aktion. Es war der Plan, zuerst einmal die Kasernen zu übernehmen und dann zu versuchen, bestimmte wichtige Einrichtungen, wie den Sender in Aldrans, das Landhaus und andere Positionen zu besetzen und wichtige Verkehrswege zu sichern. Außerdem wollten wir das deutsche "Generalkommando Süd-West", dessen Befehlsbereich Tirol und Vorarlberg war, besetzen. Der Kommandeur des Befehlsbereiches war ein Generalmajor Böhaimb, der in Innsbruck auf der Hungerburg seinen Gefechtsstand gehabt hat.
Ich wurde beauftragt, am nächsten Tag in der Früh noch einmal alle Kasernen und Wehrmachtsstellen durchzugehen, um festzustellen, ob es Veränderungen der Truppenstärke, allfällige Änderungen der Dienststellenchefs usw. gegeben hat. Dabei war sofort klar, dass überall Auflösungserscheinungen und große Unsicherheit vorhanden waren. In dieser allgemeinen Unsicherheit waren für uns überraschende Dinge möglich. In der Telefonzentrale der Standortkommandantur konnten an diesem Tag Leute von uns untergebracht werden.
Verschiedenste Wehrmachtsdienststellen auf der Flucht aus Italien versuchten, sich in Innsbruck niederzulassen. Dadurch wurde die Lage zunehmend unübersichtlich, was für uns auch Vorteile hatte, so konnte ich an diesem Tage eine weitere Wehrmachts-Entlassungsstelle in einer Kaserne einrichten. Ein Freund malte rasch ein Schild, andere begannen gleich mit der Arbeit und entließen jeden aus der Wehrmacht, der dies gerade wollte. Damit beschleunigte sich der Abzug von aus Italien zurückflutenden deutschen Soldaten.
Als ich mittags in die Leitstelle zurückkam, war es klar, dass spätestens am 2. Mai alle Kasernen von uns übernommen werden mussten, um Überraschungen auszuschließen, Zugriff zu genügend Waffen und Munition zu haben und vor allem von vornherein zu verhindern, dass durch irgendeinen fanatischen Kommandeur ein Truppeneinsatz erfolgt. Am 2. Mai besetzten wir zuerst die Konrad-Kaserne. Das gelang in kürzester Zeit. Major Werner Heine, Unterarzt Dr. Emil Eckl und Hauptmann [Guido] Todeschini waren dabei. Einige Offiziere in der Kaserne, die sich widersetzen wollten, wurden vorerst verhaftet. In der Konrad-Kaserne wurde ein vorläufiger Gefechtsstand errichtet. Einige Zeit später kamen Dr. Gruber und Gendarmerie Stabsrittmeister Winkler, der kurz vorher mit einer Gruppe das Gendarmerie-Kommando in unseren Besitz gebracht hat. Mitten in einer Besprechung über die weitere Vorgangsweise gab es plötzlich am Gang eine Schießerei. Es stellte sich heraus, dass ein Stabszahlmeister, dessen Büro man in der Eile übersehen hatte, auf bewaffnete Zivilisten schoss, die ihn aus seinem Büro verjagen wollten. Als nächste Kaserne kam die Eugen-Kaserne an die Reihe. Dort waren Lebensmittellager und ein beachtlicher Wagenpark. Bei der Übernahme kam es zu einem kurzen Schusswechsel. Die Einnahme der Kloster-Kaserne gelang ohne Blutvergießen durch eine raffinierte Aktion von Hauptmann Todeschini und Bruno Czermak sowie einer Gruppe von Angehörigen der Studentenkompanie. Wir gingen ins Wachlokal der Kaserne, Hauptmann Todeschini sagte dem Wachhabenden, die Standortkommandatur habe die Übernahme der Kaserne befohlen, dann löste er die Kasernenwache durch eine Gruppe von Feldunterärzten ab, ließ die bisherige Wache abtreten und die ganzen Mannschaften, die sich in der Kaserne aufhielten, im Kasernenhof antreten. Da tauchte der Kasernenkommandant plötzlich erregt auf. Er wurde ins Wachlokal gebeten und, als er seine Pistole ziehen wollte, verhaftet. Bei den ohne Waffen in der Zwischenzeit auf unseren Befehl im Kasernenhof Angetretenen war auch eine Gruppe der Waffen SS, die sofort in den Keller gesperrt wurde. Den anderen Soldaten wurde freigestellt, zu verschwinden oder mitzumachen. Die Mehrzahl wollte weg, sie wurden Trupp für Trupp entlassen.
Bei der Besprechung in der Leitstelle am späten Nachmittag des 2. Mai wurde festgestellt, dass die Innsbrucker Wehrmachtskasernen und die Gendarmeriekaserne in unserer Hand sind. Die Kaserne der Schutzpolizei war nicht von uns übernommen worden, aber da sie sich gegenüber der Kloster-Kaserne befand, war sie von uns überwacht. Die Schutzpolizei hatte zu diesem Zeitpunkt keine große Mannschaftsstärke. Bei der Besprechung wurde aber auch klar, dass es für uns sehr schwer sein würde, alle Positionen die Nacht über zu halten. Immer wieder trafen Nachrichten ein, dass die Gauleitung versucht, Kräfte von außen her nach Innsbruck zu bringen, besonders SS-Einheiten. Von der Telefonzentrale des Standortkommandanten und von abgehörten Telefonen der Gauleitung kamen laufend solche Meldungen. Trotz solcher Nachrichten wurde beschlossen, die geplante Aushebung des Gefechtsstandes des Befehlshabers der Operationszone Südwest und Verteidigungskommandanten von Tirol-Vorarlberg, General Böhaimb, im Hotel "Mariabrunn" auf der Hungerburg noch an diesem Abend durchzuführen. Dieser Handstreich von 20 Mann unter Führung von Major Heine, Oberstleutnant Huber und Leutnant Prida gelang planmäßig. General Böhaimb und sein Stab wurden nach Innsbruck in die Gendarmerie-Kaserne gebracht und dort vorläufig in Haft gehalten. Ein amerikanischer Parlamentär, Major Bland West, und sein Adjutant, die bei Generalmajor Böhaimb waren, wurden vorerst in die Kloster-Kaserne gebracht und über die militärische und politische Lage aus unserer Sicht informiert. Vor allem wurde ihnen dargelegt, dass die Heranführung starker SS-Verbände, wie sie von der Gauleitung eingeleitet wurde, es für uns schwieriger machen würde, Innsbruck mehrere Tage zu halten. Major West erklärte, dass mit einem raschen Vorrücken der Amerikaner bei Tagesanbruch gerechnet werden könnte. Dr. Gruber versicherte, dass am nächsten Tag, dem 3. Mai, von uns weitere Aktionen durchgeführt werden, und dass die Widerstandsbewegung mit der Besetzung des Landhauses und der Ausschaltung der Gauleitung die Regierungsgewalt in Tirol vollständig übernehmen werde. Die beiden Amerikaner wurden dann an die Frontlinie bei Seefeld gebracht.
Kurz nach der Abfahrt der beiden Amerikaner kamen neue, sehr alarmierende Nachrichten herein. SS-Einheiten, so hieß es, rückten aus dem Unterinntal her auf Innsbruck mit schweren Waffen vor. Das ließ Kämpfe in der Stadt und weitere Zerstörungen befürchten. Major Heine wurde beauftragt, schwere Waffen aufzutreiben und zusätzliche Verteidigungsvorkehrungen zu treffen.
Ich wurde beauftragt, noch in dieser Nacht zu versuchen, als Verbindungsmann durch die Frontlinien zu den anrückenden Amerikanern zu gehen, und weiters zu versuchen, mit vorgetäuschten schriftlichen Befehlen die deutschen Einheiten an der Frontlinie zum Rückzug möglichst noch in dieser Nacht zu veranlassen. Die Amerikaner sollten möglichst rasch ins Inntal und auf Innsbruck vorrücken können.
Vor Mitternacht machte ich mich in einem requirierten Wehrmachtswagen allein auf den Weg. In Zirl stoppte mich eine Straßensperre der Feldgendarmerie. Der Chef dieser Gruppe, ein Oberstleutnant, wollte mich unter Androhung der sofortigen Erschießung zum Kampfeinsatz einteilen. Bei dieser Straßensperre stand auch ein Dutzend ganz junger Soldaten, vielleicht 16- bis 17-Jährige ohne Waffen, die offensichtlich von ihren Stellungen abgehauen waren und nun von der Feldgendarmerie "standrechtlich behandelt" werden sollten. Nach einer harten Auseinandersetzung mit dem Oberstleutnant konnte ich mit Hilfe meiner angeblichen, aber schriftlich einwandfrei formulierten Vollmachten die Feldgendarmerie-Gruppe zum sofortigen Abziehen bringen. Die jungen Soldaten brachte ich zu Bekannten in Zirl, die sie auf die andere Innseite bringen sollten.
Knapp oberhalb von Zirl, Richtung Reith [bei Seefeld], lagen in der Nacht noch Reservereste zweier Kompanien Heeresflak, die aus ganz jungen Soldaten und Flakhelfern zusammengesetzt waren. Bevor sie sich am Vortag zurückziehen mussten, waren sie erstmals in einen Infanteriekampf verwickelt - sie hatten schwere Verluste erlitten - und waren in einer erbarmungswürdigen Verfassung. Die beiden Kompanie-Führer, junge Leutnants, ließen sich nur zu gerne von mir den Befehl zum sofortigen Verlegen der Einheiten nach Innsbruck geben. [...]
Ich versuchte dann, über die Zirlerberg-Straße zu den amerikanischen Linien bei Reith zu kommen. Teile der Straße vor der Haarnadelkurve waren durch Sprengungen beschädigt, und eine Gruppe von SS-Leuten, mit Ärmelabzeichen einer wallonischen Einheit, war dabei, eine weitere Sprengung an einer sehr kritischen Stelle vorzubereiten, an einer Stelle, die nach einer gelungenen Sprengung Panzer auf längere Zeit gehindert hätte, von Seefeld nach Zirl zu kommen. Einem Oberscharführer, der etwas deutsch sprach, konnte ich klarmachen, dass ein angeblicher deutscher Gegenangriff stattfinden wird und die Straße unbedingt gebraucht werden würde. Der Kampfgeist dieser Wallonen war sichtbar nicht mehr gar so groß - sie zogen nach einigem Hin und Her sehr rasch ab. Als sie weg waren, habe ich vorsichtshalber noch die Zündkabel zu den Sprengladungen entfernt.
In Leithen vor Reith traf ich zwar noch auf vereinzelte deutsche Soldaten in hastig ausgehobenen Schützenlöchern, aber auf keinen Offizier mehr. Die deutsche Frontlinie bestand praktisch nicht mehr. Kurz darauf erreichte ich die erste Feldwache der texanischen "Cactus Division", 103rd Infantry Division. Ich hatte einige Mühen, dieser Feldwache meine Mission klarzumachen, aber nach einer Stunde hatte meine Berufung auf Major West Erfolg, ich wurde zu ihm gebracht. Es ging auf 10 Uhr vormittags zu und die Amerikaner machten sich zum Angriff bereit. Eine Panzereinheit fuhr auf die vorderste Linie zu und begann gleichzeitig mit einer rückwärts liegenden Artillerieeinheit mit einem Feuerschlag. Dann war wieder Ruhe, Infanteriefeuer setzte ein, aber es war keine Gegenwehr zu bemerken. Die Panzer setzten sich in Bewegung; die ersten Panzer fuhren die enge, steile Straße auf die Haarnadelkurve zu hinab. Major Bland West und Lieutenant Peter Randon brachten mich zu ihrem Jeep und wir fuhren hinter den Panzern her. Als die ersten Panzer die Haarnadelkurve Richtung Zirl passiert hatten und ohne Deckung versuchten, über das teilweise gesprengte Straßenstück zu kommen, eröffnete eine auf der anderen Seite des Inntals bei Ranggen stationierte 8.8 Flak Batterie das Feuer. Die Panzer wurden nicht getroffen, einige Soldaten der begleitenden Infanterie wurden aber, wenn auch nur leicht, verletzt. Alles wurde angehalten. Eine halbe Stunde schossen nun die amerikanischen Panzer und die Artillerie über das Tal, dann war wieder Ruhe.
Die US-Panzer fuhren nun die Straße weiter hinab in das Dorf hinein und machten dann, durch die Häuser gedeckt, halt. Die begleitende Infanterie besetzte den Ort. Im Büro des Gendarmeriepostens in Zirl begann Major West zusammen mit anderen Offizieren mit mir über die Möglichkeit einer deutschen Gegenwehr auf der Straße nach Innsbruck zu beraten - auch Kriegsberichterstatter drängten herein und fotografierten. Die Frage war auch, ob es auf der Straße nach Innsbruck Minen gebe. Ich versicherte den Amerikanern, dass eine organisierte Gegenwehr vor Innsbruck nicht mehr möglich sei und dass ich auf der Straße von Innsbruck her nichts von Minen bemerkt hätte. Innsbruck sei in der Hand der Widerstandsbewegung und die Straße über Kranewitten und Kranewitter Allee nach Innsbruck hinein für die Amerikaner frei. Ich hatte den Auftrag, auf ein rasches Vorrücken der Amerikaner zu drängen. Diese wollten aber vorerst nicht weiter vorrücken, sondern zurerst Infanteriespähtrupps vorausschicken. Während dieser Besprechung schoss plötzlich die Flak-Batterie von Ranggen noch einmal, dieses Mal direkt nach Zirl hinein. Wieder schossen die Amerikaner massiv zurück. Von den Amerikanern wurde niemand verwundet, aber die Aufregung war groß. Dann hat irgendjemand - ich konnte nie in Erfahrung bringen, wer es war - vom Kirchturm an vier Seiten Altartücher gehisst, und plötzlich war alles still die Kämpfe waren zu Ende! [...]
Da die Amerikaner noch nicht nach Innsbruck vorrücken wollten, mussten wir einen weiten Bogen um Innsbruck machen. In den Dörfern Hatting, Kematen, Völs und am südlichen Rand von Innsbruck, wo wir vorbeifuhren, gab es überall schon rot-weiß-rote Fahnen oder weiße Fahnen. [...]
Der Gauleiter war mit seinen Getreuen in einem Beratungsraum. Er ging auf mich zu und sagte: "Sie haben eine deutsche Offiziersuniform und eine rot-weiß-rote Armbinde. Was sind Sie?" Ich habe gesagt, ich sei von der österreichischen Widerstandsbewegung und wir hätten Innsbruck bereits übernommen. Daraufhin meinte er, das sei für ihn keine Gesprächsbasis, ich könne nicht bleiben. Die Amerikaner klärten sehr rasch die Situation - ich blieb. Die Besprechungen begannen.