Franz Hahn, geb. 1913 in Nové-Zámky (Slowakei), in Wien aufgewachsen, Arzt. Als Jugendlicher Mitglied des Republikanischen Schutzbunds und der Roten Falken. Oktober 1942 gemeinsam mit seiner Mutter Deportation in das Ghetto Theresienstadt, von dort am 23. Oktober 1944 nach Auschwitz, wenige Tage später in das KZ Oranienburg und weiter in eines der Kauferinger Lager (Außenlager von Dachau). Während des "Evakuierungstransports" Befreiung durch amerikanische Truppen in der Nähe von München.
Rückkehr nach Wien.
Verstorben 2000.
Während meines Studiums erlebte ich die berühmte große Schlacht im Anatomischen Institut [9. Mai 1933]. Die Anatomie war damals zweigeteilt. Es gab zwei Lehrkanzeln. Eine hatte Professor Tandler, das war ein Roter, ein berühmter Sozialreformer und Stadtrat von Wien, ein blendender Anatom und Jude. Die andere war die von Prof. Hochstetter. Jeder, der auf sein "Ariertum" besonderen Wert gelegt hat, hat natürlich bei Hochstetter inskribiert, sodass auf der Tandlerseite praktisch nur Juden und Rote übrig geblieben sind. Beide Abteilungen waren in der Währingerstraße untergebracht. Eines Morgens, als wir ins Institut kamen, haben wir schon gesehen: oh weh, oh weh, oh weh! Jetzt wird 's losgehen. Die durch Technik-, Tierärztestudenten und andere Kollegen verstärkte nationalsozialistisch orientierte Mannschaft versuchte die Tandlerabteilung zu stürmen. Wir haben vorne noch den Zugang verteidigt, ein Großteil der Leute konnte flüchten, zum Teil durch Hinterausgänge, zum Teil sind sie aus den Fenstern gesprungen, die liegen vielleicht zwei Meter über dem Erdboden. Schließlich ist uns nix übrig geblieben, wir mussten zurück in das so genannte Studierlokal und haben ganz einfach die Tür verbarrikadiert. Schätzungsweise waren wir noch 30 Leute, während die Angreifer sicher ein-, zweihundert waren. Da haben wir ein paar Sessel zerlegt, weil Stuhlbeine eignen sich herrlich als Knüppel. Dann kam ein Assistent und sagte: "Schauts, ihr seht doch, wie 's ausschaut, steigts auch aus dem Fenster, wir werden draußen Leitern aufstellen." Wir haben aber erklärt, wir haben das Anatomische Institut durch die Türe, durch den normalen Eingang, betreten, wir werden das Anatomische Institut auch durch den Eingang verlassen. Wir springen nicht aus dem Fenster. Durch die gut verbarrikadierte Tür können wir uns halten. Nach zweistündigen Verhandlungen sind wir schließlich durch ein Spalier von Assistenten und Demonstratoren beider Institute abgezogen. Wir sind fröhlich grinsend, 30 Mann, den normalen Weg durchs Tor wieder auf die Währingerstraße hinaus. Es hat natürlich Verletzte gegeben. Ich hab nur einen kleinen blauen Fleck gehabt. Kleine Leute erwischt man schlecht. Die bücken sich schneller. Das war meine Stärke. Körperlich war ich nie sehr stark, ich habe mich immer mit einem Dackel verglichen, der einen Schäferhund ins Haxl beißen kann. An die Gurgel kann er ihm nicht springen.
Es hat mehrere Auseinandersetzungen gegeben. Man hatte dafür schon einen Riecher. Kam man in eine Vorlesung, wo viele fremde Gesichter waren, da wusste man schon, was das bedeuten würde. Einmal passierte es, dass ich einen Schulkollegen traf, der ein Nazi war. Es war ihm unangenehm, und er sagte: "Na heast, Hahn, mechst du net z' Haus gehen? Sixt ja eh, es wird heut was geben. Na, ist doch a Bledsinn. Wir sind acht Jahr miteinander in die Schul gegangen." Darauf sagte ich: "Pass auf! Wenn du auf mich losgehen willst, komm. Wenn du Hemmungen hast, auf mich loszugehen, drahst du dich halt nach links und ich drah mich nach rechts. Und so tut jeder, was er für seine Pflicht hält." Und so ist es auch geschehen. Das charakterisiert die damalige Situation.