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Emil Gottesmann: Aktion Gildemeester

Emil Gottesmann, geb. 1903 in Wien, 1932 Austritt aus der mosaischen Religionsgemeinschaft, kaufmännischer Angestellter bzw. Handelsvertreter. Mitglied des Republikanischen Schutzbundes, nach 1934 für die illegalen Revolutionären Sozialisten tätig. Mitarbeiter der "Aktion Gildemeester". November 1943 Deportation nach Theresienstadt, von dort am 29. September 1944 nach Auschwitz, 1945 Befreiung in einem Nebenlager von Dachau.

Rückkehr nach Wien.

Verstorben.

 

 

Ich war am 11. März 1938 auf einer Geschäftsreise in Fürstenfeld. Ich bin am nächsten Tag von Fürstenfeld nach Wien gefahren und habe am Abend des 11. März im Gasthof in Fürstenfeld, in dem wir übernachtet haben, beim Nachtmahl die Schuschnigg-Rede gehört, wie er gesagt hat: "Gott schütze Österreich." Ich habe einen jüdischen Mitreisenden gehabt, den hat durch dieses Ereignis beinahe der Schlag getroffen. Er hat jüdisch ausgesehen und war furchtbar nervös. Ich habe ihn am nächsten Tag in mein Auto so hineingesetzt, dass man ihn nicht gesehen hat. So sind wir am 12. März 1938 nach Wien gefahren. Ich habe den Wagen meiner Firma in eine in der Nähe befindliche Garage gestellt. Damals wohnte ich noch in der Märzstraße. Als ich am nächsten Tag in der Früh in die Garage kam, um den Wagen zu holen, sind drinnen schon einige SA-Männer gesessen und haben den Wagen beschlagnahmt. Sie haben mich nicht als Juden erkannt und zu mir gesagt: "Na, führ uns runter zum Ring, wir wollen den Einzug der Truppen sehen." Das habe ich getan, und da haben sie mir gesagt, ich dürfe mit dem Wagen weiterfahren, muss ihn aber bei Bedarf zur Verfügung stellen. So konnte ich mit dem Wagen noch einige Monate geschäftlich reisen, bis zur Auflösung meiner Firma.

 

Meine Firma - eine Herrenhutfirma - wurde im September 1938 "arisiert", von einem gewissen Herrmann. Er hat mich sogar noch einen Monat auf Reise geschickt, im Oktober musste ich die Firma verlassen. So bin ich zur "Aktion Gildemeester" gekommen, und zwar durch den Leiter der Aktion, Hermann Fürnberg. Es wurde damals im August 1938 die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" in der Prinz Eugen-Straße eröffnet. Die "Aktion Gildemeester" hat mich mit einem Kollegen namens Hermann in die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" als Mitarbeiter der "Aktion Gildemeester" abgestellt. [...]

 

Das Büro der "Aktion Gildemeester" hat sich in der Wollzeile 7 befunden. Unsere Tätigkeit in der Prinz Eugen-Straße bestand darin, dass wir die so genannten nichtmosaischen Juden, das waren "arisch versippte" Juden, konfessionslose und getaufte Juden, die bei der Kultusgemeinde kein Gehör gefunden haben, bei der Emigration berieten, usw. Die "Aktion Gildemeester" versuchte die italienische Regierung zu bewegen, dem Plan einer Ansiedlung von Juden in Äthiopien zuzustimmen, Hermann Fürnberg war hier federführend beteiligt. Es haben sich bei uns auch viele Leute gemeldet, die Interesse gezeigt haben, nach Äthiopien auszuwandern, manche haben, soweit es ihre Zeit erlaubt hat, bei uns mitgearbeitet. [...]

 

Wir von der "Gildemeester" haben die Leute beraten, und wenn jemand auswandern wollte, haben wir ihm in der Prinz-Eugen-Straße die notwendigen Formulare und Dokumente verschafft. Durch unsere Hilfe konnten viele auswandern, nach Shanghai, Kolumbien, Italien, der Schweiz. Hauptsächlich nach Übersee, nach Shanghai sind sehr viele ausgewandert. [...]

 

Die Kultusgemeinde hat jene, die nicht der jüdischen Religion angehört haben, nicht unterstützt. Es sind mir viele Fälle bekannt, wo Leute ein Affidavit nach Amerika gehabt haben, aber kein Geld hatten und auch keines bekommen haben von der Kultusgemeinde, weil sie entweder konfessionslos waren oder einer anderen Religion angehört haben. [...]

 

Die "Gildemeester-Aktion" wurde folgendermaßen finanziert: [Frank van Gheel] Gildemeester besorgte für gut situierte Juden Auswanderungen, sie verzichteten dafür zugunsten des Deutschen Reiches auf ihr gesamtes Vermögen. Von diesen Vermögen flossen fünf Prozent einem Auswanderungsfonds zu, aus dem die Finanzierung der Emigration mittelloser Juden erfolgte. Die "Aktion Gildemeester" hat auch eine Ausspeisung für ärmere Leute gehabt, die ebenfalls durch Spenden finanziert wurde. Wir hatten in der Wollzeile 7 ein ganzes Haus, dort haben wir auch die Ausspeisung geführt, dorthin sind die armen Leute hingekommen, um zu essen. Auch wir haben dort Essen bekommen, wir haben ja kein Geld bekommen, es war eine ehrenamtliche Mitarbeit. [...]

 

Gildemeester ist persönlich selten in Erscheinung getreten, die Arbeit haben Hermann Fürnberg geleitet und andere, Erich Fasal zum Beispiel, die leben leider nicht mehr. Gildemeesters Stellvertreter war Direktor Kuffner, der mit einem "arischen" Generalsekretär namens Galvagni, der seit März 1938 NSDAP-Mitglied war, die Geschäfte führte. Auch aus der Provinz sind Leute zu uns gekommen, die Papiere gebraucht haben. Wenn es sich um "Mischehen" gehandelt hat, in denen der männliche Teil Jude war, so sind die auch von der Provinz nach Wien umgesiedelt worden. [...]

 

Fürnberg war Wiener, er war zu dieser Zeit verheiratet mit einer "Arierin" und hatte zwei Kinder, die heute in England leben. Wie die Nazis gekommen sind, ist er ohne Arbeit dagestanden und hat gesehen, dass Leute, die nach den Hitler-Gesetzen Juden waren, aber nicht dem jüdischen Glauben angehörten, zwischen zwei Sesseln gesessen sind. Da hat er den Gildemeester kennen gelernt und einen Direktor Kuffer, auch ein Jude nach den Rassegesetzen, in Wirklichkeit aber ein getaufter Jude. Beide haben mit Gildemeester die Aktion gegründet. Der Paul Gerngroß, der Besitzer des Kaufhauses, hat auch bei uns mitgearbeitet in der "Gildemeester-Aktion", bis er selber weggefahren ist. Also, es haben sich unserer Aktion viele Leute zur Verfügung gestellt.

 

Wir haben also den auswanderungswilligen nichtmosaischen Juden die für die Ausreise notwendigen Formulare, Dokumente beschafft. Als dies durch den herrschenden Krieg nicht mehr möglich gewesen ist, hat die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" begonnen, die noch in Wien lebenden Juden zu "evakuieren", das heißt zu deportieren. [...]

 

Wir haben täglich einige hundert Ansuchen zu erledigen gehabt. Es wurde die Vermögenslage der Betroffenen überprüft, und die, die ein Vermögen gehabt haben, mussten fünf Prozent davon an die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" für die Reisepässe zahlen und vom Finanzamt eine "Steuerunbedenklichkeitsbescheinigung" erbringen, das heißt, sie mussten vorher dem Finanzamt alle Steuern bezahlen. Dann sind sie zu uns gekommen mit dieser "Unbedenklichkeitsbescheinigung" und haben um ihre Pässe angesucht. Wir mussten alle Papiere übernehmen und sind dann damit in die betreffenden Abteilungen der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" zu den "arischen" Beamten gegangen. Wenn der Pass fertig war, haben wir ihn wieder übernommen und den betreffenden Leuten ausgehändigt.

 

Einmal ist in der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" in der Prinz Eugen-Straße ein Kollege von der Kultusgemeinde zu uns reingelaufen gekommen: "Kommt raus, der Theo Lingen steht beim Brunner vor der Tür." Na, wir haben alle geschaut, tatsächlich ist der Theo Lingen dort gestanden! Nachher hat sich dann rausgestellt, dass Lingen für einen jüdischen Schauspieler beim Brunner intervenieren wollte. Er hat auch interveniert, und zwar für Louis Treumann [geb. am 3. März 1872, Schauspieler, am 5. März 1943 in Theresienstadt verstorben], der an der Volksoper war. Tatsache ist, der Theo Lingen ist zum Brunner gegangen und hat ihn ersucht, den Mann vom Transport nach Polen zurückzustellen. Brunner hat ihm diese Bitte gewährt und hat den Mann vom Auffanglager nach Hause geschickt. Der Louis Treumann wurde dann in der Nacht neuerlich geholt, knapp vor Abgang des Transportes nach Theresienstadt, und wurde tatsächlich nach Theresienstadt geschickt. Theo Lingen hat noch einmal interveniert, da hat ihm der Brunner gesagt, dass das ein Irrtum sein muss, und hat den Lingen nach Hause geschickt. So ist der Louis Treumann, ein renommierter Schauspieler, auch nach Theresienstadt gekommen.

 

Anfang 1939 ist der Hermann Leopoldi plötzlich aus Dachau entlassen worden, weil er eine Einreisebewilligung nach Amerika gehabt hat. Da war er bei uns in der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" um die notwendigen Papiere und hat uns erzählt, dass er nach Amerika fährt und dass mit ihm in Dachau unter anderen auch der Fritz Grünbaum war, der aber vielleicht später auch nach Amerika fahren wird können. Der Leopoldi ist weggefahren, und wie er nach Amerika gekommen ist, hat er sich niedergekniet und hat den Boden geküsst. Der Fritz Grünbaum ist, trotz mehrfacher Interventionen seiner Gattin, die eine "Arierin" war, nicht entlassen worden und ist im KZ gestorben.

 

Mit Beendigung der großen Deportationen [Ende 1942] ist die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" überflüssig geworden. Es hat in Wien nur mehr "privilegierte" Juden gegeben, also solche, die "arisch versippt" waren oder bei der Kultusgemeinde tätig waren. Es waren aber nur wenige.

 

Es sind auch im Jahr 1943 einzelne Transporte weggegangen. Man hat immer wieder die "privilegierten" Juden überprüft, das heißt, sie wurden in die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" vorgeladen und mussten beweisen, dass sie in aufrechter "Mischehe" leben. Bei einigen ist der "arische" Ehepartner weggestorben, die sind dann auch in diese Sammellager gekommen, und alle Monate sind kleinere Transporte weggegangen. Diese Leute wurden in der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" überprüft, und zwar auch von mir und meinem Kollegen Kohaut. Damals übte ich eine sehr riskante Tätigkeit aus. Ich war bemüht, diesen Leuten zu helfen. Hauptsächlich waren es Männer, deren "arische" Frau gestorben war, auch jüdische Frauen gab es, deren "arischer" Ehemann verstorben war. Ich habe den Leuten dort erklärt: "Ich kann Ihnen nicht helfen. Legen Sie das vor und seien Sie ruhig, sagen Sie kein Wort. Antworten Sie nur auf die Fragen, die man an Sie stellt." Ich konnte ihnen ja nicht direkt sagen: "Wenn Sie da reden, dann kommen Sie weg." Und ich habe gesagt: "Es hängt von Ihnen ab, ob Sie Courage haben. Der Totennachweis ist nicht vorhanden, sondern nur der Taufschein oder die Eheurkunde, vielleicht haben Sie Glück." So wurden die restlichen Juden, die nicht mehr geschützt waren, sukzessive weggeschickt. Auch ich bin dann im November 1943 in einem dieser letzten kleinen Transporte nach Theresienstadt weggeschickt worden. Teilweise, wenn der Tod des Ehepartners nicht erwähnt wurde, hat es funktioniert, es sind wirklich welche nach Hause gegangen.

 

Bei dieser Tätigkeit habe ich meine Frau kennen gelernt. Der Vater meiner Frau war Jude, die Mutter eine so genannte "Arierin", meine Frau "Mischling 1. Grades". Meine Frau war nie bei der jüdischen Religionsgemeinschaft. Der Vater war in Deutschland auf Arbeit - das war im Jahr 1942 -, in einem Arbeitslager. Diese Leute wurden dann nach einigen Monaten nach Wien zurückgeschickt, sind in Auffanglager gekommen und später nach Theresienstadt. Dann hat man die Angehörigen, also den "arischen" Teil dieser Leute, vorgeladen, es waren ja meistens "arische" Frauen. Die hat man vorgeladen in die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" und hat ihnen Folgendes gesagt: "Wenn Sie sich scheiden lassen, so geht Ihr Mann nach Theresienstadt. Er muss dort nur den Krieg abwarten und kommt wieder zurück. Er hat dort Arbeit. Es geschieht ihm nichts. Nur müssen Sie sich scheiden lassen." Man hat ihnen nicht gesagt, dass, wenn sie sich nicht scheiden lassen, der Mann aus dem Lager entlassen wird. Man hat sie überredet, sich scheiden zu lassen. Ich habe diesen Leuten - da habe ich sehr viel riskiert - Folgendes gesagt: "Sie kommen jetzt zu einem Beamten, der wird Ihnen sagen, dass Sie sich scheiden lassen sollen. Wenn Sie sich aber nicht scheiden lassen, kommt er nach Hause."

 

Das habe ich auch zur Mutter meiner späteren Frau gesagt. Der Vater ist tatsächlich nach Hause gekommen und hat in Wien überlebt. [...]

 

Die "arischen" Frauen waren viel tapferer und geneigter, ihren jüdischen Ehemännern zu helfen als umgekehrt. Ich habe Fälle erlebt, da sind die "arischen" Männer gekommen und haben gesagt: "Holts mei jüdische Frau."

 

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