S.O.S. – Hilfeersuchen der nach Opole deportierten Jüdinnen und Juden
"S.O.S." - in Blockbuchstaben handschriftlich hinzugefügt und unterstrichen steht dieser Ausdruck am Beginn des Schreibens, in dem wenige Tage nach Eintreffen des ersten Wiener Transports in Opole ein "Comitee des Judentransportes aus Wien" am 22. Februar 1941 die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien verzweifelt um Hilfe bat:
"Trotz anerkennenswertem besten Willen steht der hiesige Judenrat vor einer unloesbaren Aufgabe. Z. B. ist man hier nicht einmal imstande fuer alle eingetroffenen Menschen Suppe zur Verfuegung zu stellen. Ueber 70-jaehrige kranke Menschen, darunter Blinde, Taubstumme und Krueppel, ausserdem Kleinkinder schlafen notduerftig auf Strohpritschen, die allen sanitaeren Erfordernissen Hohn sprechen. [...]
Wir sind ausserstande, in ein paar Zeilen auch nur annaehernd die einzelnen tragischen Episoden dieses Transportes zu schildern und wir legen Ihnen es waermstens an's Herz, an die so unvorbereitet und unverschuldet aus der Zivilisation ausgestossenen Menschen nicht zu vergessen. Wir gehen hier sonst elend zu Grunde. Unsere aus Wien mitgebrachten Nahrungsmittel reichen fuer kaum 14 Tage, wir sind verzweifelt. Noch einmal bitten wir Sie unsere SOS Rufe zu hoeren und Hilfe zu bringen, wo und wie Sie es nur koennen."
Vier der fünf Unterzeichner dieses Briefs fielen der Shoah zum Opfer (der fünfte Name ist unleserlich):
Jakob Engel, geboren am 16. Jänner 1885
Siegfried Pollak, geboren am 14. Mai 1899
Fritz Kurz, geboren am 15. Juni 1895
Friedrich Spielmann, geboren am 19. November 1900
Auf die Antwort der IKG Wien vom 6. März 1941 reagierte die "Vertretung der aus Wien evakuierten Juden in Opole" (unterzeichnet von Jakob Engel und Friedrich Spielmann) am 12. März 1941 mit unverhohlener Enttäuschung. Eindringlich wiederholte sie ihren Appell zur Hilfe:
"Wir sind uns dessen bewusst, dass die Israelitische Kultusgemeinde in Wien schon damit eine schwere Mission zu erfüllen hat, wenn sie für die in Wien lebenden Juden sorgt, doch können wir nicht genug darauf verweisen, dass unsere Gemeinschaft die Zusammengehörigkeit mit der Kultusgemeinde besonders betont wissen will, weil wir ja aus ihrem lebenden Körper gewaltsam herausgerissen wurden und nunmehr auf einem verzweifelten Posten stehen, von dem sich unsere Brüder in Wien keine Vorstellung machen können. [...]
Wir kleben in diesem elenden Nest, an ein Fortkommen ist überhaupt nicht zu denken. Von den hier lebenden ca. 2000 Wiener Juden arbeiten bisher ca. 60 Männer. Wovon sollen die Kranken, Alten, Kinder und Frauen erhalten werden? Es gibt hier keine Erwerbsmöglichkeiten. Wir sind leider hier und sehen viel klarer als es uns lieb ist. [...]
Es sind nach unserer Kenntnis schon 6 Transporte von Wien abgegangen, aber wir können es Ihnen sagen: Keiner steht auf einem so verlorenen Posten wie wir hier in Opole. Beherzigen Sie dies und tun Sie Ihr Aeusserstes, denn unsere Nerven beginnen uns im Stiche zu lassen. Wer soll uns helfen, wenn Sie es nicht können. Wir sind Fleisch von Ihrem Fleische und wollen nicht vergessen werden.
Niemand hört uns, dann hören Sie uns
Ihre gänzlich Verzweifelten"