Im Zusammenhang mit dem Pogrom der Hamas vom 7. Oktober und dem darauf folgenden Gazakrieg kam es weltweit – und so auch in Österreich – vermehrt zu antisemitischen Vorfällen unterschiedlichen ideologischen Hintergrunds, wie auch zu einer Zunahme des antimuslimischen Rassismus. Die neonazistische Szene verortet sich, dem dort nach wie vor geltenden Primat des (eliminatorischen) Antisemitismus entsprechend, im Lager der Hamas. Ansonsten dominiert auf Seiten der autochthonen extremen Rechten eine Haltung demonstrativer Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden auf beiden Seiten des Konflikts. Wie schon in der Ukraine gelte auch hier: „Das ist nicht unser Krieg.“ Gleichzeitig zeigt man sich bestrebt, antiisraelische Proteste für die Erzählung von der vermeintlichen „Integrationsunfähigkeit“ von Muslim*innen und für die Ethnisierung/Externalisierung des Antisemitismus in Österreich zu instrumentalisieren.
Wenngleich auf anti-israelischen Demonstrationen in Österreich häufig auch türkische Fahnen zu sehen und die türkischen Regierungsparteien AKP und MHP in diesem Sinne klar positioniert sind, agieren die Hauptakteure der institutionalisierten rechtsextremen Ülkücü-Bewegung („Graue Wölfe“) in Österreich auffällig zurückhaltend. So äußerte sich der Dachverband ATF (Avusturya Türk Federasyon), welcher der rechtsextremen MHP (Milliyetçi Hareket Partisi) nahesteht, zum aktuellen Konflikt in Israel/Palästina bislang (Stand: 19.12.2023) auf seinen offiziellen Social-Media-Kanälen gar nicht. Anders der der MHP-Abspaltung BBP (Büyük Birlik Partisi) nahestehende Verein Viyana Alperen Ocakları: Er veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite eine „Verurteilung“ (Kınama) in türkischer Sprache, die von Obmann Veysel Yağcı unterzeichnet wurde. Diese in religiösem Vokabular verfasste Erklärung rückt die Tötung unschuldiger Kinder in Gaza in den Vordergrund und formuliert einen allgemeinen Appell für Gerechtigkeit. Weder Israel noch die Hamas werden in der Erklärung erwähnt, ebenso wenig die Massaker des 7. Oktober.
Auf individueller Ebene legt ATF-Obmann Ali Can weniger Zurückhaltung an den Tag. Er postete auf seinem öffentlichen Facebook-Auftritt zahlreiche Videos zum Thema, in denen antisemitische Hetze betrieben wird. In einem dieser Videos führt Cihat Yaycı, ein türkischer Autor und ehemals hochrangiger Soldat, die Art der israelischen Kriegsführung auf die Thora zurück. Demnach sei Juden im Kriegsfall alles erlaubt, einschließlich der Tötung von Frauen, Kindern und Säuglingen. Ein weiteres von Can geteiltes Video trägt den Titel „Die Juden sind die rassistischsten Menschen der Welt“. Darin erklärt der im Jahr 2000 verstorbene Imam und Mufti Timurtaş Uçar, der für seine umstrittenen Predigten mehrmals verhaftet wurde, Juden würden andere Völker nicht als Menschen anerkennen. Auch hätten sie die göttliche Offenbarung für ihre eigenen Interessen verfälscht. In einem dritten Video wird suggeriert, orthodoxe Juden betrachteten Nichtjuden als ihre Sklaven.
Botschaften wie diese fügen sich in das Bestreben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seines Bündnispartners, des MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli, den Nahostkonflikt als Religionskrieg darzustellen. Dass sie zwar auf individueller Ebene in Österreich verbreitet werden, nicht aber von den entsprechenden Verbänden selbst, lässt sich als Versuch deuten, die Erwartungen der eigenen Anhänger*innen zu erfüllen und gleichzeitig auf institutioneller Ebene ein Bild der Mäßigung zu wahren.
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