Am 12. Dezember trafen sich Exponent*innen der verschwörungsphantasieaffinen Szene des deutschen Sprachraums in der tschechischen Hauptstadt Prag. Eingeladen hatte das oberösterreichische Online-Medium AUF1 [vgl. zuletzt Alte Motive, neue Medien: Antisemit zu Gast im österreichischen Parlament]. Die Veranstaltung, die lediglich der Auftakt für weitere Vernetzungsaktivitäten sein soll, wurde als „Alternatives WEF“ (AWEF) vermarktet, in Anspielung auf das World Economic Forum (WEF), dem in konspirationistischen Kreisen (und verstärkt seit der Corona-Pandemie) der Status einer geheimen Weltregierung zugeschrieben wird. Gleichzeitig soll die Abkürzung AWEF für „Alternative Western Ethics Formation“ stehen, offenbar in antiuniversalistischer Abgrenzung zum Weltwirtschaftsforum. Der beschworene Westen war auf der Bühne in Prag freilich fast ausschließlich in seinen deutschen und österreichischen Manifestationen vertreten. Als Stargast und laut AUF1-Bericht auch Schirmherr der Veranstaltung konnte der ehemalige tschechische Präsident Václav Klaus gewonnen werden, der in den letzten Jahren wiederholt als Unterstützer von AfD, FPÖ und Vladimir Putin in Erscheinung getreten war.
Über Wochen hatte AUF1-Chef und Desinformationsunternehmer Stefan Magnet die Veranstaltung angekündigt, stets begleitet von eindringlichen Spendenappellen. Ihr Schauplatz wurde jedoch erst öffentlich verlautbart, als sie bereits über die Bühne gegangen war. Noch zu diesem Zeitpunkt versuchte Magnet, den Eindruck zu wahren, die Eröffnung stünde erst bevor. Teilnehmer*innen hatten sich zu verpflichten, die Veranstaltung bis zum 16. Dezember geheimzuhalten, was nicht allen vollständig gelang. Martin Sellner hatte schon eine Woche davor in seinem wöchentlichen Livestream angekündigt, an einem „AUF1-Treffen“ in Prag zur Wochenmitte teilzunehmen, Klaus hatte seine Eröffnungsrede umgehend auf seiner persönlichen Website veröffentlicht. Neben ihm bestritten die Eröffnung Gastgeber Stefan Magnet und Elsa Mittmannsgruber für AUF1 sowie Kayvan Soufi-Siavash, vormals bekannt als Ken Jebsen.
Aus Prag berichtete der tschechische Journalist Vojtěch Berger für HlídacíPes.org über die Veranstaltung. Sie habe in einem Kongresshotel im Stadtteil Vysočany stattgefunden. Entgegen der von den Veranstaltern häufig geführten Klage über die hermetische Abgeschlossenheit des WEF habe man auch hier den Austausch „hinter verschlossenen Türen“ gepflogen: „Nur verwandte Alternativmedien oder YouTuber gelangten in den Saal.“ (Anm.: Eigene Übersetzung aus dem Tschechischen). Wie Berger weiters notiert, erweist sich die Tschechische Republik als „sicherer Hafen“ für einschlägige Veranstaltungen der deutschsprachigen Szene. 2023 hatte die AfD-Jugend im nordböhmischen Ústí nad Labem getagt, 2018 die Deutsche Burschenschaft in Prag eine Verbandstagung abgehalten. Auch habe AUF1 im September 2022 von einer Großdemonstration gegen die tschechische Regierung am Wenzelsplatz berichtet.
Aus Österreich waren u. a. Martin Rutter, ein Organisator der Corona-Protestbewegung, die Ärztin Maria Hubmer-Mogg und das bekannteste Gesicht der österreichischen extremen Rechten, Martin Sellner, angereist. Zahlreiche Szenemedien waren in berichterstattender Funktion anwesend. Sellner erwähnte in einem Nachbericht für die „neurechte“ Sezession u. a. Info-DIREKT und Report24 neben COMPACT, PI-News und NIUS (alle Deutschland) und dem antisemitischen Verschwörungskanal Klagemauer.tv/kla.tv aus der Schweiz, der durch seinen Leiter Elias Sasek (Sohn des Sektenführers Ivo Sasek) repräsentiert war.
Auch die FPÖ war in Prag vertreten – in Person ihres Europaparlamentariers Gerald Hauser sowie von Johannes Hübner, Präsident der Wiener Parteiakademie. Mit Petr Bystroň war Bergers Bericht zufolge ein weiterer Europaabgeordneter (AfD) anwesend. Wie ein von AUF1 inzwischen veröffentlichtes Video zeigt, nahm Hübner an einem Podium zusammen u. a. mit Stefan Magnet (der die erkrankte Ulrike Guérot vertreten habe) und dem Autor Ulrich Mies teil. Aus welcher Distanz in Prag auf die bestehende demokratische Ordnung geblickt wurde, illustriert der Umstand, dass Johannes Hübner als „Demokratie-Insider“ vorgestellt wurde, der „viele Ämter innerhalb des Parlamentarismus“ bekleidet habe. Sein Nebensitzer Mies führte, gefragt nach einer „Vision einer wirklich unabhängigen Politik“, aus, dass es eine solche Politik erst „nach ’ner Revolution“ geben könne. „Also, ich sehe überhaupt nicht, wie wir das jetzt hier mit halbwegs friedlichen Mitteln hinbekämen.“ Hübner gab dazu an, er könne sich diesem Revolutionsaufruf „nicht ganz anschließen“, er habe als Rechtsanwalt einen „bisschen anderen Zugang. Revolution, das klingt immer schön, ist die Frage nur, was passiert dann nach der Revolution, wie setzen wir das neu auf.“
Wohl auch in Anbetracht der FPÖ-Präsenz feierte Sellner das Treffen dafür, dass es „eingehegt in der Anonymität einer fremden Millionenstadt und der Schutzwirkung einer Eröffnungsrede von Dr. Klaus“ ungestört habe stattfinden können – und den letzten Rest an innerer Abgrenzung im rechten Lager beseitigt habe. „Die Kontaktschuld ist tot. Wir haben sie in Prag begraben. Eine vielfältige Allianz für Meinungsfreiheit und die Abschaltung der Demokratiesimulation ist stärker denn je!“, schrieb er auf Telegram. In seinem Sezession-Artikel führte er weiter aus: „Auf eine gewisse Art und Weise war ich der Lackmustest des A-WEF. Alle absolvierten diesen Test bravourös. Ohne jede Berührungsangst, völlig kontaktschuldfrei verlief das Treffen […]. Ich bin überzeugt: Viele Ideen, Projekte und vielleicht sogar kleine Revolutionen wurden an diesen zwei Tagen in Gang gesetzt.“