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Wien, 31. 1. 2021: Coronaprotest als rechtsextremes Erfolgserlebnis

Neues von ganz rechts - Februar 2021

 

Am Wochenende des 30. und 31. Jänner fanden erneut Protestkundgebungen in Wien statt, die sich vorderhand gegen die politische Bearbeitung der Covid-19-Pandemie richteten. Nachdem die meisten der angemeldeten Veranstaltungen am Freitag polizeilich untersagt worden waren, bot sich an den beiden Wochenendtagen ein sehr unterschiedliches Bild. Fanden sich am Samstag, für den vor allem politisch diffus verortete Initiativen mobilisiert hatten, nur kleine Gruppen von Demonstrationswilligen in der Wiener Innenstadt ein, dürfte die TeilnehmerInnenzahl am Sonntag die Fünfstelligkeit erreicht haben. Zu verdanken ist dieser sonntägliche Mobilisierungserfolg maßgeblich dem Umstand, dass diverse rechtsextreme Medien und Szenegrößen sowie auch die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) gezielt zur Teilnahme an diesem Tag aufgerufen hatten (Letztere ab Untersagung ihrer eigenen Ersatzkundgebung allerdings nicht mehr explizit).

 

Die Sonntags-Mobilisierung wies, ebenso wie nachträgliche Einordnungen der Ereignisse, auch eine klar allgemeinpolitische Tendenz auf, die weit über das Für und Wider konkreter Pandemiebekämpfungsmaßnahmen hinauswies. So betonte die Redaktionsleiterin der Zeitung WOCHENBLICK vorab, dass die Proteste sich gegen eine "globale Agenda" richteten, über die man aufzuklären habe. Es gelte nicht nur Kanzler Sebastian Kurz, sondern die "Globalisten" insgesamt zu konfrontieren und "Nadelstiche für das System" zu setzen. Auch BfJ-Veteran Stefan Magnet glaubt, der österreichische Kanzler hänge "am Gängelband seiner globalistischen Gönner" und handle in deren Auftrag. Der seit Jahren im rechten Obskurantismus umtriebige Martin Rutter (siehe: Die extreme Rechte in Zeiten von Corona - III) erblickt in der Pandemie keinen "Zufall", sondern eine "international orchestriert[e]" Verschwörung. Nach seiner Tour durch die österreichische Parteienlandschaft (Grüne, BZÖ, Team Stronach) will Rutter heute die ihm zufolge in Österreich herrschende "Parteiendiktatur" durch eine "echte Volksherrschaft" ersetzen, in der jedes Gesetz – demnach etwa auch solche zum Minderheitenschutz – durch plebiszitären Mehrheitsentscheid aufhebbar sein soll.

 

Auf der Demonstration selbst trat die extreme Rechte einmal mehr in ihrer ganzen Breite in Erscheinung. Gottfried Küssel ließ sich vom ehemaligen Journalisten Manuel Mittas interviewen, der im vergangenen Sommer wiederholt selbst auf "Querdenker"-Kundgebungen in Erscheinung getreten war – als Redner sowie als Beteiligter an der Zerreißung einer Regenbogenfahne auf offener Bühne. Neonazi Küssel wurde von Mittas als "politischer Aktivist und langjähriger politischer Gefangener" vorgestellt. Auch andere rechtsextreme AktivistInnen berichteten live über ihre Social-Media-Kanäle von der Demonstration. Das größte Transparent trug eine Aufschrift, die erst zwei Tage zuvor von Identitären-Führer Martin Sellner popularisiert worden war – einen Solidaritätsslogan für FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl. Neonazi-Hooligans skandierten Parolen gegen Antifa und Presse und verübten sowohl aus der Demonstration heraus wie auch an ihrem Rande zahlreiche gewalttätige Übergriffe auf JournalistInnen (vgl. dazu die Pressekonferenz des Presseclubs Concordia, nachzusehen unter www.dorftv.at/video/35074). Sellner, der in seiner Nachbetrachtung der Ereignisse die Demonstration als "absolut gewaltfrei" ausschilderte, würdigte im selben Atemzug die Neonazi-Schläger als funktionalen Teil des Gesamtprotests: so hätten die "erlebnisorientierten Jugendlichen" – ein szenetypischer Euphemismus für Hooligans – sich "außerhalb der Demo Scharmützel mit Linken geliefert", wodurch die "Linksterroristen" von Störungen der Demonstration abgehalten worden seien, ohne dass die Gewalttaten allzu sehr "auf die Demo zurück[gefallen]" wären.

 

Als Erfolg verbuchte Sellner ferner den "eindeutig patriotisch[en]" Charakter der Proteste und stellte diesen "patriotische[n] Grundkonsens" positiv der "Peace and Love"-Stimmung gegenüber, die bei den Corona-Protesten in Berlin herrsche. Ganz ähnlich hatte sich im Vorfeld der Demonstration bereits der deutsche Verschwörungsideologe Jürgen Elsässer (COMPACT-Magazin) geäußert: seiner Beobachtung nach erblicke man bei den Protesten in der Bundesrepublik "mehr Regenbogenfahnen […] und weniger Nationalfahnen", in Österreich dagegen "keine Regenbogenfahnen und sehr viel rot-weiß-rot". Elsässer zufolge sei Österreich damit "klar in der Avantgarde". Tatsächlich versammelten sich Sonntag in Berlin einige hundert Personen aus dem "Querdenker"-Milieu zu einer Solidaritäts-Kundgebung für die Wiener Proteste.

 

Dass die Demonstration trotz behördlicher Untersagung stattfinden konnte, stundenlang weitgehend ungehindert durch die Stadt zog und eine ansehnliche TeilnehmerInnenzahl aufwies, löste am rechten Rand erwartbare Euphorie aus: von einer "historische[n] Stunde für Österreich” war ebenso die Rede wie von einer "friedliche[n] Revolution", einer "Sternstunde des Widerstands" oder einem "rechte[n] und patriotische[n] Hainburg" (Sellner). Martin Rutter zeigte sich in seiner Nachbetrachtung fest überzeugt, dass nun "der erste friedliche, [...] durchs Volk erzwungene Rücktritt einer Bundesregierung in der Zweiten Republik” bevorstünde.

 

Die FPÖ bekräftigte in den vergangenen Tagen mit Nachdruck ihr Bestreben, die ihr von den Strategen des außerparlamentarischen Rechtsextremismus zugedachte Rolle verlässlicher zu erfüllen als noch zu Regierungszeiten (vgl. dazu auch: Annäherung im "Dritten Lager"). Bereits die Ankündigung Herbert Kickls, auf der Demonstration am Sonntag sprechen zu wollen, hatte am rechten Rand Entzücken ausgelöst. Dieses verstärkte sich noch, als die Partei nach der behördlichen Untersagung jener Veranstaltung, auf der Kickl hätte auftreten sollen, eine eigene Kundgebung anmeldete, um dem Protest – wie einst schon dem Ball des Wiener Korporationsrings – kraft ihrer Eigenschaft als parlamentarische Kraft eine Durchführung in der ursprünglich geplanten Form zu ermöglichen. "[F]ast schon eine revolutionäre Situation im Rahmen des Parlamentarismus" glaubte etwa Martin Sellner darin zu erkennen. Seine am Freitag formulierte Hoffnung, wonach die Freiheitlichen auch weiterhin "der Protestbewegung aus dem Parlament helfen" und damit "genau das" tun würden, was "eine Partei auch machen [sollte]", erfüllte sich rasch: Am Sonntag veranstaltete die FPÖ eine virtuelle Kundgebung mit demselben RednerInnen-Aufgebot, das auch die behördlich untersagte Veranstaltung hätte bestreiten sollen – darunter der schon erwähnte Martin Rutter und Demo-Anmelderin Romana Palmetshofer, die Österreich unumwunden zur "Diktatur" erklärte. In weiterer Folge begleiteten mehrere Nationalratsabgeordnete die Demonstration, zumindest einer davon ließ sich auch vor Ort von rechtsextremen Medien interviewen. Darüber hinaus wurde von freiheitlicher Seite bereits eine Sondersitzung des Nationalrats zur Frage der Veranstaltungsuntersagungen veranlasst sowie eine Befassung des Verfassungsgerichts in den Raum gestellt. Die von Sellner eingemahnte Überwindung des "Parlaments-Patriotismus" und Transformation zur "Bewegungspartei, die die patriotische Protestbewegung auf der Straße aktiv unterstützt", schreitet augenscheinlich voran.

 

 

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