Linda Erker: Die Universität Wien im Austrofaschismus: Zur politischen Vereinnahmung einer Hochschule – im Vergleich mit der Universität Madrid im Franco-Faschismus
Dissertation, Universität Wien, 2018 (Abstract)
Diese Arbeit wurde mit dem Herbert-Steiner-Preis 2018 ausgezeichnet.
80 Jahre nach dem Ende des Dollfuß/Schuschnigg-Regimes liegen zwar zahlreiche Studien über dieses Herrschaftssystem und viele seiner Aspekte vor. Die Entwicklungen in der Wissenschaft und an den Universitäten zwischen 1933 und 1938 blieben bisher aber weitgehend unerforscht. Die vorgelegte Dissertation soll diese Forschungslücke zumindest für die Universität Wien schließen, zugleich werden diese Analysen um Vergleiche mit einer Hochschule in einer anderen faschistisch geprägten Diktatur – der Universidad Central de Madrid im frühen Franquismus von 1939 bis 1945 – erweitert. Die spanische Zentraluniversität im Franco-Faschismus dient dabei als ferner Spiegel, um mögliche nationale Eigenheiten des Austrofaschismus und seiner Universitätspolitik zu identifizieren. Zugleich können über diesen diachronen Spezialvergleich auch nationale Entwicklungen in einen größeren internationalen Kontext gestellt werden.
Um besser zu verstehen, was im Austrofaschismus an der Universität Wien passierte, ist zunächst aber auch ein Blick zurück auf die Zeit vor 1933 nötig: Politisch und wirtschaftlich wurde die Erste Republik zunehmend instabiler, an der Universität Wien dominierten bei den Studierenden Anfang der 1930er-Jahre längst die Nationalsozialisten – unterstützt von vielen antisemitischen Professoren, die seit den 1920er-Jahren die Universität dominierten und Karrieren jüdischer und linker ForscherInnen systematisch hintertrieben.
Für die Jahre von 1933 bis 1938 lassen sich für die Universität Wien drei verschiedene Etappen der Vereinnahmung unterscheiden, die sich auch in der Gliederung der Studie widerspiegeln: Die erste Phase der Regime-Konstituierung begann mit der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 und dauerte bis zur Proklamation der Verfassung im Mai bzw. bis zum Juliputsch 1934. In diesen Monaten erhielt die Studierendenvertretung eine autoritäre Struktur und vom Ministerium eingesetzte Vertreter, sogenannte Sachwalter. Zudem wurden die Maßnahmen sowohl gegen nationalsozialistische wie auch linke Studierende verschärft. Zugleich setzten aus Einsparungsgründen wie auch aus Gründen der politischen "Säuberung" nachhaltige Eingriffe in den Lehrkörper der Universität ein. Insgesamt wurden rund 25 Prozent der Professorenstellen gestrichen, das war einer der tiefsten Einschnitte in der langen Geschichte der Universität Wien. Die von der Hochschule selbst zur (Früh-)Pensionierung vorgeschlagenen Professoren waren dabei zu einem überproportional hohen Anteil jüdischer Herkunft.
Die zweite Phase stellte die Blütezeit des Austrofaschismus an der Universität Wien dar. In diesen zwei Jahren des politischen Machtausbaus und universitären Umbaus bis zum Juliabkommen 1936 kam es zu neuen Universitätsgesetzen, die zur weiteren Beschneidung der universitären Autonomie führten: Mit dem "Hochschulermächtigungsgesetz" und dem "Hochschulerziehungsgesetz", die beide am 1. Juli 1935 in Kraft traten, erhielt der Unterrichtsminister zum einen die Möglichkeit, in fast alle Belange der Universität einzugreifen. Zum anderen wurden die Hochschulen darauf getrimmt, mit neu eingeführten Pflichtvorlesungen und Hochschullagern als Erziehungsanstalten zu wirken. Bereits unmittelbar nach dem Juliputsch 1934 wurden sowohl nationalsozialistische Studierende wie auch Lehrende in vermehrtem Maß von der Universität ausgeschlossen, zum Teil auch nur auf Zeit. Die Studie liefert dazu erstmals konkrete Zahlen.
Die dritte Phase begann dann nach dem Juliabkommen 1936 und führte zu einer spürbaren Entschärfung des Kurses gegenüber den nationalsozialistischen Studierenden und Lehrenden, auch wenn die gesetzlichen Grundlagen für die politische Indienstnahme der Universitäten unverändert blieben. Diese Phase dauerte allerdings nur rund 20 Monate, bis es zum "Anschluss" und zur bereits vorbereiteten (Selbst-)Gleichschaltung der Universität Wien ab März 1938 kam.
Resümierend lässt sich für die drei Phasen sagen, dass die Entwicklung der Universität Wien in einigen Punkten (Eingriffe in die universitäre Autonomie, in die Studierendenvertretung und in den Lehrkörper) jener in anderen faschistischen Systemen entsprach, aber in einigen Bereichen – etwa der politischen "Säuberung" unter den Lehrenden – weniger rigoros vorging, auch im Vergleich zur spanischen Zentraluniversität in Madrid zwischen 1939 und 1945.
Abschließend behandelt die Arbeit noch die Entwicklungen an der Universität Wien nach dem "Anschluss" 1938 sowie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, um die Brüche, aber auch die Kontinuitäten zum Austrofaschismus aufzuzeigen. So etwa konnten die Nationalsozialisten bei der rassistisch und politisch motivierten Entziehung von Lehrberechtigungen ab März 1938 bereits auf Gesetze aus dem Austrofaschismus zurückgreifen. Mit Beginn der Zweiten Republik 1945 knüpfte dann insbesondere die universitäre Personalpolitik an die Jahre vor dem "Anschluss" an. Ehemalige Funktionäre des Dollfuß/Schuschnigg-Regimes kehrten umgehend nach Kriegsende in die bildungspolitischen Schlüsselpositionen an der Universität, an der Akademie der Wissenschaften und im Unterrichtsministerium zurück, weshalb für die Universität Wien überspitzt von einer bis in die 1960er-Jahre "verlängerten Zwischenkriegszeit" gesprochen werden kann. Dieser "lange Schatten des Austrofaschismus" trug nicht zuletzt dazu bei, dass die Geschichte der Universität Wien zwischen 1933 und 1938 so lange unerforscht blieb.
Linda Erker, Historikerin, Wien
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