Diplomarbeit Universität Wien (Abstract)
Diese Arbeit wurde mit dem Herbert-Steiner-Anerkennungspreis 2011 ausgezeichnet.
Die Arbeit fasst wesentliche Teile des Forschungsstands zur NS-Militärjustiz allgemein und für Österreich zusammen und gibt einen prägnanten Überblick über dessen Genese, Aufbau, Gesetzesgrundlagen und zugrunde liegender Ideologie. In einem zweiten Schritt wurden die Orte der NS-Militärjustiz in Wien systematisch dargestellt, mit Fallbeispielen und Aktenbestandteilen veranschaulicht und existierende Erinnerungsformen untersucht. Die untersuchten Orte wurden zueinander in Verbindung gesetzt und so ein Netzwerk der NS-Militärjustiz in Wien gezeichnet. Dieses Netzwerk und die Schlüsse aus den bestehenden und fehlenden Erinnerungsformen sind wesentliches Ergebnis dieser Arbeit.
Aus der Beurteilung der Diplomarbeit durch den Betreuer a.o. Univ.-Prof. Dr. Walter Manoschek:
Mit den Forschungsfragen nach Orten, nach Strukturen und Netzwerken der NS-Militärjustiz in Wien und nach den Formen des Gedenkens an diese Orte heute wird wissenschaftliches Neuland betreten: Weder über die Gerichts- und Verhörorte noch über die Haft- und Exekutionsorte liegen - mit zwei Ausnahmen - bisher wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Um die Untersuchungsgegenstände - es handelt sich um etwa 25 Orte - bearbeiten zu können, wurde auf umfangreiches Archivmaterial zurückgegriffen, das zum Teil aus datenschutzrechtlichen Gründen nur schwer einsehbar gewesen ist.
Nach einer Einführung, in der die forschungsleitenden Fragestellungen präsentiert und die verwendeten Quellen und Materialien vorgestellt werden, folgt im zweiten Kapitel ein Überblick über die NS-Militärjustiz allgemein und speziell in Wien, in dem der Autor den bisherigen Wissensstand zum Thema knapp und souverän darstellt.
Im Hauptteil, der mit etwa 130 Seiten auch quantitativ den größten Raum einnimmt, rekonstruiert der Autor detailliert die einzelnen Orte der NS-Militärjustiz nach einem einheitlichen Schema (Geschichte der Orte, NS-Militärjustiz, gesellschaftliches Wissen darüber, Gedenken), das sowohl zeithistorische als auch vergangenheitspolitische Themenstellungen inkludiert. Mit der Analyse der Orte gelingt es, die De-facto-Struktur der NS-Militärjustiz zu analysieren, die von den De-jure-Vorstellungen erheblich abweicht und damit eine genuin politikwissenschaftliche Erkenntnis darstellt.
Im Kapitel IV werden die Ergebnisse des empirischen Teils zusammengefasst. Auf der Ebene der Netzwerkstruktur kommt der Autor zum Schluss, dass auf Grund des Scheiterns bei der Errichtung eines Zentralbaus für die NS-Militärjustiz 1939 Gerichte, Gefängnisse und Hinrichtungsorte über die ganze Stadt verteilt waren und keinem durchgehenden Schema folgten. Mit der systematischen Analyse der Orte der NS-Militärgerichtsbarkeit wird deutlich, dass Wien eines der wesentlichen Zentren der NS-Militärjustiz war, was Ermittlung, Fahndung und Verurteilungen anbelangt.
Ein besonders spannendes und deprimierendes Kapitel sind die vergangenheitspolitischen Ergebnisse der Arbeit. Seitens staatlicher Institutionen (BKA, Ministerien, Stadt Wien, Universität Wien), die heute an den Orten der NS-Militärjustiz lokalisiert sind, sind bis dato keine erinnerungspolitischen Schritte gesetzt worden und auch das Interesse daran, in Zukunft solche zu setzen, ist marginal. Im Gegensatz dazu zeigten sich die britische und slowakische Botschaft, die an ehemaligen Standorten der NS-Militärjustiz residieren, an der historischen Aufarbeitung interessiert bzw. haben von sich aus in Publikationen und Homepages auf die Verwendung der Objekte im Nationalsozialismus bereits hingewiesen.
Zusammenfassend überzeugt die Diplomarbeit sowohl aus qualitativer als auch aus quantitativer Sicht (190 Seiten). [...] Sie schließt eine gravierende Lücke in der Forschung über die NS-Militärjustiz und sollte unbedingt veröffentlicht werden.
<< Herbert-Steiner-Preisträger*innen