Wien (OTS) - Mitte Dezember 1998 wurde im Beisein des damaligen Bundesministers für Justiz Dr. Nikolaus Michalek die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz in Wien gegründet. Sie hat ihren Sitz am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. In den 25 Jahren ihres Bestehens ist die Forschungsstelle zu einem wichtigen Dokumentationszentrum innerhalb der internationalen scientific community zu Fragestellungen des Umgangs der Nachkriegsgesellschaften mit den NS-Verbrechen geworden.
Die wissenschaftliche Leitung der Forschungsstelle obliegt Mag.a Dr.in Claudia Kuretsidis-Haider und Dr. Winfried R. Garscha. Beide sind langjährige Mitarbeiter*innen des DÖW. Präsidentin ist Univ.-Prof.in Dr.in Ilse Reiter-Zatloukal vom Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte an der Universität Wien. Die ehemalige Bundesministerin für Justiz, Dr.in Maria Berger, und der ehemalige Zweite Nationalratspräsident Univ.-Prof. Dr. Heinrich Neisser stehen dem Kuratorium der Forschungsstelle vor. Dieses Gremium spiegelt sowohl den interdisziplinären als auch den internationalen Charakter der Tätigkeit der Forschungsstelle wider, in der namhafte Jurist*innen, Historiker*innen und Politikwissenschafter*innen aus Österreich, dem übrigen Europa und den USA versammelt sind.
Claudia Kuretsidis-Haider bei der Verleihung des Simon Wiesenthal Preises 2021 am 11. 5. 2022 an die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz.
Foto: Parlamentsdirektion / Johannes Zinner
Die Forschungsstelle definierte sich von Anfang an als Aufbewahrungsort von Informationen über die Akten der justiziellen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen in Österreich, nicht aber von den Akten selbst. Die Dokumentation erfolgt mittels Datenbanken, Mikrofilmkopien und Digitalisaten. Die Akten der gerichtlichen und polizeilichen Erhebungen sind in vielen Fällen – unabhängig vom Urteilsspruch – mit ihren zahlreichen Querverweisen, Dokumenten und Zeugenaussagen einziges Quellenmaterial für die Zeit- und Rechtsgeschichtsschreibung sowie politikwissenschaftliche Fragestellungen. Die dokumentierten Verfahren werden sukzessive nach den untersuchten Verbrechen und Tatorten ausgewertet und abfragbar gemacht. Die Recherche- und Erschließungsarbeiten erfolgen am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes.
Seit 25 Jahren widmet sich die Forschungsstelle sowohl in ihrer wissenschaftlichen Arbeit als auch in ihrem gesellschaftspolitischen Engagement der Aufklärung über den Holocaust als dem größten Menschheitsverbrechen der Geschichte, verbunden mit der Weitergabe und Aufbereitung dieses Wissens an nachfolgende Generationen (Schüler*innen, Studierende, aber auch – im Rahmen eines mit dem Bundesministerium für Justiz durchgeführten Curriculum Justiz und Zeitgeschichte – für Richteramtsanwärter*innen) sowie dem Gedenken an die Opfer. 2022 erhielt die Forschungsstelle dafür den ersten Simon Wiesenthal Preis für zivilgesellschaftliches Engagement für Aufklärung über den Holocaust, verliehen vom Nationalfonds der Republik Österreich.
Die langjährigen Forschungsarbeiten werden beim Symposium „WIDERSTÄNDE. Impulse für die Widerstandsforschung“ vorgestellt, das dem 60-jährigen Bestehen des DÖW gewidmet ist und von 10. bis 12. Jänner 2024 in Wien stattfinden wird.
Damit in die Antworten von Politik und Justiz auf heutige Kriegs- und Humanitätsverbrechen die Erfahrungen der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen einfließen können, ist die Kenntnis (und wissenschaftliche Analyse) ihrer Aufarbeitung nach 1945 vonnöten.
Durch die Erforschung der Nachkriegsjustiz und die Sicherung ihrer Dokumente wird somit ein auch für die tagespolitischen Herausforderungen der Gegenwart wichtiger Teil des europäischen Rechtskulturerbes bewahrt und tradiert.
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